"Der eigentliche Erfahrungsort ist man selbst" – Schule braucht Achtsamkeit

Frau mit geschlossenen Augen und Kopf zum Himmel geneigt

(Quelle: Canva)

Wenn heute immer wieder wie unlängst im Kindergesundheitsbericht im Dezember 2024 die Rede vom Rückgang sozialer, kognitiver und physischer Fähigkeiten unserer Kinder und Jugendlichen ist, klingt darin schon die Sehnsucht nach einer heilenden Reaktion. Worin kann sie bestehen, wie könnte sie organisiert werden, wer könnte sie praktisch und großflächig in die Erfahrungswelt der nachwachsenden Generation integrieren und welche Rolle können Yoga und Achtsamkeit in der Schule dabei spielen?

Schule ist mehr als eine Bildungseinrichtung

Schule ist der Versammlungsort junger Menschen: hier sind sie erreichbar, hier begegnen sie sich ganz konkret, physisch und psychisch. Sie entwickeln Haltungen, Moden, Fähigkeiten, Verhaltensweisen. Die Schule ist somit nicht nur Bildungseinrichtung, in der festgelegte Wissensinhalte und Kompetenzen vermittelt und bewertet werden. Sie ist ein globales Trainingsfeld des gesamten jungen Lebens, das sowohl in natürlichen Gegebenheiten als auch kulturellen Konzepten stattfindet. 

Zu ersteren zählt ganz einfach der menschliche Körper, der auch der Träger unserer Psyche ist. Alle äußeren Szenarien, die wir zur Stimulierung von Lernerfahrungen schaffen, müssen einen Weg in eine individuelle Psyche und einen individuellen Körper finden, dort eine Resonanz finden und im (Körper-)Gedächtnis abgelegt werden.

Der Körper ist demnach unser eigentliches Erlebens- und Lernmedium. Sich dem eigenen Körper in der Schule mittels Yoga- und Achtsamkeitsübungen als Erfahrungsort zuzuwenden, ihn kennenzulernen, ihn als kostbare Gegebenheit anzunehmen sowie seine Signale und Selbstschutz-Angebote zu erkennen und anzunehmen, könnte der Anfang zu einer gesundheitsorientierten Neuausrichtung von Schule sein und gleichzeitig am Anfang einer Erholung von bildungspolitischem Ehrgeiz stehen.

Die ernsthafte und einfache Erfahrung des Atems als lebenserhaltendem Vorgang, die Erdung des Körpers durch die Schwerkraft und die Verbundenheit mit der Dreidimensionalität des Raumes sowie das Hinausgreifen in diesen Raum durch Bewegung können die Überkomplexität unserer Gegenwart kontern, ausgleichen und Momente tiefer Entspannung und Beruhigung ermöglichen. 

Das Bewusstsein für den eigenen Körper als Instrument des Handelns sowie des Innehaltens kann der Beginn einer Achtsamkeit sein, die Kinder und Jugendliche dabei unterstützt, zu konstruktiveren Gedanken und Handlungen zu gelangen, bessere Entscheidungen zu treffen, leichter auf Herausforderungen zu reagieren, sogar Ängste abzubauen und Zuversicht zu entwickeln.

Der eigene Körper, der eigene Geist werden so verlässliche, wertvolle Partner der Welterschließung. Lernen ist in dieser Verfassung, was es immer war, ein stetiger Prozess, ein natürlicher Zustand, ein Einströmen und Verarbeiten von Informationen, ein Erweitern persönlicher Erfahrungen.

Um die oben beschriebenen Basis-Erfahrungen mit dem eigenen Körper, dem eigenen Erleben und damit assoziierten Emotionen bewusst zu machen, sie für eine Beruhigung, Kräftigung und konstruktiven, zukunftsgerichteten Verfassung zu nutzen, sind Yoga und Achtsamkeit wie geschaffen. 

Achtsamkeit als Selbsthilfe

Achtsamkeit ist die in der menschlichen Psyche verankerte Selbsthilfe – Yoga mobilisiert sie. Ihre jahrtausendealten Übungen führen zu einer wertfreien Introspektion, einer Selbstannahme und einer Achtsamkeit gegenüber allen sozialen Situationen und sich selbst. Sie fördern eine intime Korrespondenz mit Körper und Geist, bauen Resilienzen gegen äußere Überforderung auf und öffnen Wege zu einem im wahrsten Sinne des Wortes aktiven Selbstbewusstsein. Die Wirkung von Yoga und Achtsamkeit, nämlich die Menschen zu sich zu führen, ist für Momente des Lernens grundlegend; Lernen bedarf der Aufnahmefähigkeit, der Aufnahmewilligkeit, der Annahme der Lernsituation, des Gefühls der sozialen Aufgehobenheit und der Sinnhaftigkeit für das eigene Leben. Menschen, denen es an Ruhe, (Selbst-)Akzeptanz und Zuversicht fehlt, können etwa in der Schule, aber auch am Arbeitsplatz ihren Aufgaben im Grunde nur in einem Erledigungsmodus begegnen. Hier besteht nur die geringe Wahrscheinlichkeit zur Entstehung einer Resonanz, nachhaltiger Erkenntnis oder gar Begeisterung für eine Sache.  

Pädagogische Erwägungen, wie Kinder und Jugendliche zu Aufmerksamkeit und Konzentration finden können, gehen althergebracht zumeist von aufgeräumten, folgsamen und behüteten jungen Menschen aus. Realistischere Betrachtungen sind vielen Studien zu entnehmen: Einsamkeit, Kontaktmangel selbst zu den eigenen Eltern, Bewegungsarmut, viel Bildschirmzeit, soziale Medien…zeitigen Verluste des Selbst-spürens und damit auch Verluste in den Entwürfen seiner selbst und persönlicher Ziele und Möglichkeiten. Schule kann mit ihrer Ausrichtung auf kognitive Lernziele und ihrer Personallage und Struktur jungen Menschen kaum konstruktive Unterstützung beim Erfinden ihres Selbst bieten. Sie folgt einer analytischen Aufteilung des Weltwissens und vermittelt es in fachdidaktischer Aufbereitung. Die Vielzahl der Methoden ist kaum noch überschaubar, aber die Lernerfolge werden immer kleiner. Das deutet darauf hin, dass die Erreichbarkeit der Kinder und Jugendlichen schwindet und  neue Wegegefunden werden müssen, um mit den Schüler:innen in Kontakt zu kommen.

Der eigentliche Erfahrungsort ist man selbst. Wenn man diesen Ort betreten soll, müssen wir ihn öffnen. Es helfen dabei keine Anweisungen mehr. Wir brauchen ein Training zur Öffnung dieses Raumes, zu einer Öffnung des Selbst zur Welt. Diese Öffnung beginnt nach dem Verlust der kindlichen Neugier und Zuversicht, mit der Einkehr und der wohlwollenden Wahrnehmung seiner Selbst. Yoga und Achtsamkeit verbinden diese Einkehr mit der Aufmerksamkeit für den eigenen Körper, des eigenen Seins und sie verbinden mit allen Menschen. Dies trägt dazu bei, eine Gelöstheit zu schaffen, eine Offenheit für Neues und Herausforderungen, die dann als Möglichkeit zum Wachstum empfunden werden. Lerninhalte und Aufgaben werden dann nicht mehr abgewehrt, sondern integriert. Dann wird man selbst zum Ort der Erfahrung.

Drei Minuten Meditation

Finde einen bequemen Sitz und schließe die Augen: Nimm eine Minute alle Gefühle, alle Gedanken, alle Körperempfindungen wahr.

Nimm eine Minute deinen Atem wahr und spüre, wie du ein und ausatmest. Bringe deine Aufmerksamkeit dahin, wo du den Atem wahrnehmen kannst, wie zum Beispiel deinen Brustkorb oder deine Nasenflügel. Wenn Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen im Innen oder Geräusche im Außen dich ablenken, kehre zur Atmung zurück.

Atme eine Minute lang in der Vorstellung mit deinem ganzen Körper. Richte die Aufmerksamkeit auf den ganzen Körper aus und nimm ihn wertfrei von innen heraus wahr – von den Haarspitzen bis zu den Fußsohlen.

Atemanker und Doppelt so lange ausatmen

Finde einen angenehmen Sitz deiner Wahl. Strecke deine Wirbelsäule und entspanne deine Schultern, soweit es dir möglich ist, nach hinten und unten. Schließe deine Augen und löse die Zahnreihen sanft voneinander, um auch deinen Kiefer zu entspannen.

Finde deinen Atemanker: Nimm wahr, wo du deinen Atem spüren kannst. Vielleicht am Bauch oder im Brustkorb. Kannst du deinen Atem nicht spüren, richte die Aufmerksamkeit zu den Nasenlöchern und nimm wahr, wie die Luft in dich hineinströmt und etwas erwärmt wieder ausströmt. 

Wann immer dich Gedanken ablenken, kehre zu der Beobachtung deines Atems zurück. Beginne jetzt deinen Atem zu führen und sanft die Ausatmung zu verlängern. Ein 1 2 3 4 und aus 1 2 3 4 5 … in der nächsten Runde ein 1 2 3 4, aus 1 2 3 4 5 6

Vagusnerv-Massage zur Beruhigung

Lege deine Hände an den Hals und massiere ihn mit sanften, kreisenden Bewegungen zwischen Ohr und Schulterübergang für einige Minuten. Wenn dir  danach ist, schließe deine Augen. Du kannst die Massage im Sitzen, Stehen oder auch im Liegen durchführen.

Über Mona Bekteši 

Yoga, Achtsamkeit und Schule sind die Themen, die Mona Bekteši in ihrem Alltag begleiten. Sie unterrichtet Deutsch und Geschichte, bildet am Landesinstitut für Schule (LIS) und an der Universität Bremen angehende Lehrkräfte und Studierende aus. Zudem lehrt sie Yoga für Kinder und Erwachsene und bietet bundesweit Fortbildungen zu Yoga und Achtsamkeit in der Schule an. Die nächste Veranstaltung findet am 22. und 23. März in Bremen und am 5. und 6. April in Wien Perchtoldsdorf statt. Nebenbei hat sie mehrere Bücher über Yoga und Schule verfasst, die im Meyer & Meyer Verlag erschienen sind. Weitere Informationen über Mona und ihr Angebot kannst du auf ihrer Website finden.

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