Nachdem bekannt wurde, dass die Verhandlungen zum Digitalpakt 2.0 auch deshalb stocken, weil das Bundesbildungsministerium eine Fortbildungspflicht für Lehrkräfte im Umfang von 30 Stunden fordert, äußert sich der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, wie folgt: „Die Verantwortlichkeiten im föderalen System sind klar geregelt. Die Länder sind für die Fortbildung der Lehrkräfte zuständig. Und sie entscheiden sich bis auf wenige Ausnahmen, dies ohne konkrete Vorgaben zu regeln – ein richtiges und wichtiges Zeichen des Zutrauens. Nun die Fortbildungspflicht für Lehrkräfte zu einer Bedingung für den Digitalpakt 2.0 zu machen, ist eine klare Verzögerungstaktik des Bundesbildungsministeriums. Das ist keine Unwissenheit, sondern der traurige Versuch, mit nicht erfüllbaren Bedingungen die Schuld für den ausstehenden Verhandlungserfolg bei den Ländern abzuladen. Leidtragende sind weiterhin die Schulen, welche seit bald einem halben Jahr keine Anträge mehr stellen können und in Unsicherheit gelassen werden. Das ist unverantwortlich.“
Brand führt aus, dass es in den Bundesländern sehr unterschiedlich sei, wie viele Fortbildungen angeboten werden können, wie und ob diese aufeinander aufbauen und wie bewertet werden kann, welchen Wirkungsgrad die einzelne Fortbildung hat. Schon deshalb hält er eine konkrete Vorgabe von 30 Stunden für eine „Scheinlösung“. Um hier Fortschritte zu erreichen und Fortbildungen passgenau für die Bedarfe der Lehrkräfte weiterzuentwickeln, brauche es eine Evaluierung nicht nur über die Fortbildung selbst, sondern auch zum veränderten Lehrverhalten und der Einstellung der Lehrkräfte. Dafür sind die Länder in der Verantwortung.
Statt einer konkret bezifferten Fortbildungspflicht sollten die Ministerien besser dafür sorgen, dass Lehrkräfte ihr Recht auf Fortbildung wahrnehmen können, sagt Brand: „Wir haben Lehrkräftemangel. Jede Lehrkraft, die eine Fortbildung wahrnimmt, fehlt vor der Klasse. Eine Vertretung ist kaum noch möglich. In dieser angespannten Situation braucht es das Vertrauen darin, dass Lehrkräfte sich nach bestem Wissen und Gewissen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten fortbilden. Und zwar für die Herausforderungen, die vor Ort am dringendsten sind.“
Deshalb kritisiert Brand auch: „Jeden Tag kommen neue Forderungen auf, mit denen sich Schule auseinanderzusetzen hat. Daneben gibt es die langfristigen Ziele wie Inklusion und Ganztag. Viele verschiedene, gleichwertige Themen gilt es, in Fortbildungen aufzuarbeiten. Die von außen festgelegte Fokussierung auf Digitalisierung trägt deshalb dem Alltag an Schule nicht Rechnung.“ Es braucht mehr Gestaltungsspielraum, nicht weniger: „Bei anderen Förderprogrammen, wie dem Startchancen-Programm, wird die Autonomie der Schule gestärkt. Warum sollten sich die Beschäftigten nun an anderer Stelle vorschreiben lassen, welche Fortbildungen sie unabhängig von der Situation vor Ort wahrnehmen?“
Mit Blick auf die sowieso schon stark belasteten Schulleitungen führt Brand aus: „Mit einer Fortbildungspflicht würde eine weitere Aufgabe für Schulleitungen einhergehen, die dies zu dokumentieren hätten. Offene Fragen sind nicht nur, wo sie die Zeit dafür hernehmen sollten, sondern auch, welche Konsequenzen es haben soll, wenn die Pflicht nicht umgesetzt werden kann.“
Nicht zuletzt liege dem Vorschlag ein Bild von Lehrkräften zugrunde, das der Realität entbehrt, so Brand, und weiter: „Hier wird für den ganzen Berufsstand ein immenser Nachholbedarf konstruiert, den wir nicht nachvollziehen können. So gaben in der von uns bei forsa beauftragten, repräsentativen Umfrage im Herbst 2023 über die Hälfte der Schulleitungen an, dass (fast) alle Lehrkräfte bereits eine Fortbildung zum Thema absolviert haben. Ein weiteres Viertel der Schulleitungen geben an, dass mindestens die Hälfte bis drei Viertel der Lehrkräfte an ihrer Schule Fortbildungen gemacht haben. Darüber hinaus gaben zwei Drittel der Schulleitungen an, dass Lehrkräfte, die gerade ihr Studium abgeschlossen haben, (sehr) gut auf das Arbeiten mit digitalen Endgeräten vorbereitet sind. Nicht zu vernachlässigen sind zudem Effekte des Lernens voneinander im Kollegium. Der Generalverdacht ist unangebracht.“