Gewalt an Schulen: DGUV-Umfrage und Vorfall in Ettenheim alarmieren

Von
Helen Mattes
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6
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October 2024
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Eine Junge sitzt auf der Treppe und weint

Zunehmende Gewalt an Schulen: Vorfall in Ettenheim verdeutlicht wachsende Problematik (Quelle: Canva)

Ettenheim. In einer Werkrealschule im baden-württembergischen Ettenheim soll am Dienstagmorgen ein Jugendlicher nach einem Streit einen anderen mit einem Messer attackiert haben. Die Polizei rückte mit einem Großaufgebot an. Ein Rettungshubschrauber brachte den verletzten Jungen in ein Krankenhaus. Der mutmaßliche Täter wurde von der Polizei widerstandslos festgenommen. Die Kriminalpolizei hat die weiteren Ermittlungen übernommen. Der genaue Tathergang sowie das Motiv des Verdächtigen seien derzeit noch unklar, erklärte ein Sprecher der Polizei. Nach bisherigen Erkenntnissen waren keine weiteren Schüler:innen in den Vorfall verwickelt.

Der Vorfall in Ettenheim steht exemplarisch für eine besorgniserregende Entwicklung an deutschen Schulen: Die Gewalt unter Kindern und Jugendlichen hat zugenommen. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Umfrage der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), bei der tausend Lehrkräfte zu ihren Erfahrungen im Schulalltag befragt wurden. 56 Prozent der Lehrkräfte berichten von einem Anstieg psychischer Gewalt, darunter Beleidigungen, Beschimpfungen und Mobbing. 44 Prozent der Befragten nehmen eine Zunahme von körperlicher Gewalt unter den Schüler:innen wahr.

Ein Drittel der befragten Lehrkräfte war im vergangenen Schuljahr mindestens einmal pro Woche mit körperlicher Gewalt unter Schüler:innen konfrontiert – sei es durch Vorfälle während des Unterrichts, bei der Pausenaufsicht oder als hinzugezogene:r Klassenlehrer:in. Fast die Hälfte der Lehrkräfte beobachtete im selben Zeitraum mindestens wöchentlich Fälle von psychischer Gewalt unter den Schüler:innen.

Die DGUV hat nicht nur Lehrkräfte befragt, sondern auch eigene Statistiken zu Unfällen veröffentlicht, bei denen Gewalt unter Schüler:innen eine Rolle spielte: Die Zahl der gewaltbedingten Unfälle an Schulen stieg im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr um rund 11.000 auf 64.897. Trotz des Anstiegs liegt die Zahl immer noch unter dem Niveau von vor der Pandemie im Jahr 2019, als 72.973 solcher Unfälle registriert wurden. Der DGUV-Hauptgeschäftsführer Stefan Hussy warnt davor, aufgrund der rückläufigen Unfallzahlen zu glauben, dass alles in Ordnung sei, denn die Unfallstatistik zeige kein vollständiges Bild des tatsächlichen Gewaltgeschehens an Schulen. “Insbesondere psychische Gewalt und ihre Folgen tauchen darin nicht auf. Um ein Gesamtbild der Lage an allgemeinbildenden Schulen nach der Pandemie zu erhalten, haben wir daher diejenigen gefragt, die für die Sicherheit und Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Schulen besondere Verantwortung tragen: Lehrerinnen und Lehrer”, so Hussy. 

Trotz des Anstiegs gewaltbedingter Unfälle sind schwere Verletzungen wie in Ettenheim weiterhin selten. Laut DGUV führten 5200 dieser Fälle zu Knochenbrüchen, und lediglich in elf Fällen wurde erstmals eine Unfallrente gewährt. Trotz der seltenen schweren Verletzungen spiegelt der Anstieg gewaltbedingter Unfälle eine wachsende Problematik wider. Angesichts dieser Entwicklung überrascht es den Präsidenten des Lehrerverbandes NRW, Andreas Bartsch, nicht, dass die Umfrage alarmierende Ergebnisse liefert. “Schule ist ein Spiegelbild der Gesellschaft: Wir stellen eine Verrohung der Sprache fest, aber auch eine immer geringere Frustrationstoleranz und eine gewisse Hemmungslosigkeit, was Beleidigungen und Gewalt angeht”, erklärt Bartsch. 

Neben den alarmierenden Ergebnissen wirft die Umfrage auch ein Licht auf mögliche Ursachen für die zunehmende Gewalt: 93 Prozent der Lehrkräfte führen die Ursachen auf persönliche Faktoren wie Impulsivität oder fehlende Empathie zurück. 78 Prozent nannten familiäre Hintergründe wie einen niedrigen Bildungsstand der Eltern oder Gewalt im Elternhaus. Auch der Konsum problematischer Medien, wie ungefilterte oder falsche Informationen im Internet, wurde als Ursache erwähnt. Seltener, in 28 Prozent der Fälle, wurden schulische Faktoren wie ein negatives Schulklima als Auslöser für psychische Gewalt gesehen. Bartsch ist der Meinung, dass neben der Pandemie und die damit verbundene Isolation von Kindern und Jugendlichen, vor allem die sozialen Medien einen negativen Einfluss auf junge Menschen haben und zur Gewaltproblematik beitragen. 

Andrea Heck, die Vorsitzende des Elternvereins NRW, machte deutlich, dass das Problem schon lange bestehe und sprach sich für eine bessere psychologische Betreuung sowohl der Opfer als auch der Täter:innen aus. Sie kritisierte den Mangel an Schulpsycholog:innen und Anlaufstellen für Eltern. Auch die befragten Lehrkräfte äußerten den Wunsch nach mehr Unterstützung durch Schulsozialarbeiter:innen und forderten eine entschlossenere Haltung des Kollegiums und der Schulleitung: Gewalt unter Schüler:innen hat nämlich auch eine starke Auswirkung auf das Wohlbefinden der Lehrer:innen (Lehrer News berichtete). 

Trotz der Bemühungen um mehr Unterstützung und klare Maßnahmen bleibt die Nachsorge in vielen Schulen ein Schwachpunkt. Gewaltprävention ist zwar an vielen Schulen bereits ein fester Bestandteil des Unterrichts, doch die Nachbetreuung, wie etwa Streitschlichterprogramme, fehlt laut den befragten Lehrkräften oft: 84 Prozent der Lehrkräfte berichteten, dass an ihrer Schule Maßnahmen zur Gewaltprävention fest verankert sind. Allerdings gaben nur 41 Prozent an, dass es auch ein Nachsorgekonzept, wie etwa ein Streitschlichterprogramm, an ihrer Schule gibt.

Um Gewalt an Schulen entgegenzuwirken, sind nicht nur verstärkte Präventionsmaßnahmen notwendig, sondern auch eine bessere Nachsorge durch Schulpsycholog:innen und Sozialarbeiter:innen sowie ein genauerer Blick auf den Einfluss von sozialen Medien und familiären Hintergründen.

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