Kinder an die Front? Wenn die Bundeswehr zur Schule kommt

Von
Paul Messall
|
14
.
September 2024
|
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Das Titelbild der Kolumne von Paul Messall

Erich Kästner schrieb einst in seinem Gedicht “Jahrgang 1899”: 

“Dann holte man uns zum Militär, 

bloß so als Kanonenfutter. 

In der Schule wurden die Bänke leer, 

zu Hause weinte die Mutter.”

Vor nicht ganz 100 Jahren verfasste Kästner dieses Gedicht als Mahnung und als Andenken an diejenigen, die im Ersten Weltkrieg zwar kämpften, aber keine Mitsprache an dessen Ausbruch hatten. Eine ganze Generation wurde ihrer Jugend beraubt. Politiker:innen einiger Bundesländer denken aufgrund der globalen kriegsbedingten Lage darüber nach, den Besuch von Jugendoffizier:innen der Bundeswehr in Schulen zur Pflicht zu machen. Das Ziel ist die Anwerbung weiterer Soldat:innen und Reservisten. Die Verbindung zwischen Schule und Bundeswehr bleibt ein umstrittenes Thema. Wird sich die von Erich Kästner beschriebene Situation wiederholen? 

Warum werden Jugendoffiziere der Bundeswehr an Schulen eingeladen 

Seit 1. Juli 2011 setzt die Wehrpflicht für junge Männer in Deutschland aus, für Frauen bestand sie nie. Seitdem schrumpft die Anzahl der Soldat:innen in der Bundeswehr, ein Zeichen dafür, dass die junge Generation sich nicht für die Beteiligung an Kriegen oder die Nutzung von Waffen interessiert. Außenpolitisch gesehen ist dies für einige Politiker jedoch ein Dorn im Auge. Sie fordern die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder eben die Verpflichtung der Schulen, Jugendoffizier:innen der Bundeswehr “referieren” zu lassen. Aufgrund der anhaltenden Kriegslage einiger Länder strebt man daher danach, junge Menschen für die Bundeswehr zu begeistern. 

Bisher ist die Einladung der Jugendoffizier:innen freiwillig, sodass nur einige Schulen dies in Erwägung ziehen. In manchen Fällen passt der Bundeswehrbesuch nicht einmal in den Unterricht, für einzelne überforderte Lehrkräfte erscheint der Militärbesuch mit seinem Angebot als Entlastung für Unterricht, der nicht selbst vorbereitet werden muss. Die jungen Soldat:innen, die von der Bundeswehr gesandt werden, treten als coole Peers auf, fast schon kumpelartig. Auf sympathische Weise erzählen sie von den Abenteuern bei der Bundeswehr. Ob es sich um Werbung oder Informationsveranstaltung handelt, ist nicht ganz transparent erkennbar. 

Meinungen zum Thema spalten sich

Einmal mehr werden die Schüler:innen außen vor gelassen. In den wenigsten Berichten über die möglichen Pflichtbesuche wurden die Rezipienten dieses Vorhabens gefragt, nur Erwachsene. Ein geringes Interesse am Wehrdienst bei der Bundeswehr geht mit der pazifistischen Einstellung einer diplomatischen Generation einher. “Soldat ist kein Beruf. Es geht darum, Menschen zu töten und selbst getötet zu werden, dazu sollte kein Mensch gezwungen werden”, so Elias Bala, Sprecher der Landesschüler*innenvertretung (LSV) Nordrhein-Westfalen. Diese Aussage der Organisation, die sich für die Mitsprache der Schüler:innen des Landes Nordrhein-Westfalen einsetzt, belegt diese Aussage. Frieden schaffen, ohne Waffen und Töten, so der Wunsch der LSV. 

Dazu gehört zum einen die kritische Auseinandersetzung mit der Bundeswehr, zum anderen die Behandlung aktueller internationaler politischer Geschehnisse in der Schule. So könnte den jungen Menschen eine autonome Meinungsbildung ermöglicht und falsche Informationen vermieden werden. Bala fasst die Positionen der Organisation wie folgt zusammen: “Es ist schon falsch, Jugendoffizier:innen in die Schulen zu schicken, wenn die Schule sich das aussuchen kann, und es ist noch schlimmer, wenn es eine Verpflichtung dazu gibt. Das ist eindeutig abzulehnen.” 

Ebenso kritisiert die Organisation, dass das allgemein geltende Werbeverbot an Schulen für die Bundeswehrbesuche schlichtweg ignoriert wird. “Die Bundeswehr hat ein eigenes Interesse an den Schulen: Nachwuchs für die Bundeswehr zu rekrutieren. Eine neutrale oder gar kritische Betrachtung des eigenen Handelns ist hier nicht möglich”, so Bala. Dass der Bundeswehr die Soldat:innen ausgehen, ist allgemein bekannt, jedoch sollen Unterrichtsbesuche von Jugendoffizier:innen kein Mittel zum Zweck werden, um diese Lücke zu füllen. Die LSV würde sich freuen, wenn sie ihre Perspektiven in den Diskurs und in Entscheidungen wie diese einbringen könnten. 

Ebenso vertritt der Landesschülerrat (LSR) Bayern die Position, dass die Besuche der Bundeswehr nicht in den Unterricht gehören. “Schon gar nicht, wenn sie zur Pflicht werden sollen”, so Zaradacht Gimo, Sprecher des LSR. Die Organisation kritisiert das fehlende Mitspracherecht bei dieser Thematik. Als Zielgruppe der vorgeschlagenen Pflichtbesuche der Bundeswehr an Schulen wird ihre Meinung bisher außen vor gelassen. Der LSR steht jedoch der Vielfalt der Berufsmöglichkeiten offen. “Gerne darf die Bundeswehr auf Jobmessen neben weiteren Berufsinformationsständen anderer Unternehmen und Institutionen vertreten sein. So können interessierte Schüler:innen  sich eigenständig und freiwillig mit dem Militär und dem Wehrdienst auseinandersetzen, ohne Zwang”, fasst Gimo zusammen. 

Es ist wirklich nacheifernswert, dass die Jugendlichen und Heranwachsenden genau wissen, was sie wollen und eine solche Reife in der Vertretung und Argumentation ihrer Positionen aufzeigen. Man sollte die junge Generation nicht unterschätzen und schon gar nicht ignorieren. Sie würden den Krieg nicht leichtfertig erwarten, sondern auf diplomatische Weise eine Lösung suchen. 

Die GEW betrachtet den Einfluss der Bundeswehr auf die Schule mit Sorge. Sie bemerkt eine erhöhte Bemühung der Bundeswehr, mehr Einfluss an den Schulen zu erlangen. Politische Bildung sei Aufgabe der dafür ausgebildeten Lehrkraft, nicht aber der Jugendoffizier:innen. Gerade Militarismus und autoritäre Struktur seien in der Gesellschaft problematisch. Eine Einladung von Jugendoffizier:innen solle gut überlegt sein und ausschließlich dann vorgenommen werden, wenn eine ausgewogene Stellung zu anderen politischen Einstellungen gegeben ist. Das heißt, dass Zivildienste, Friedenspolitik, pazifistische Meinungen nicht außen vor gelassen werden und Friedensorganisationen sowie Friedensinitiativen die gleichen Möglichkeiten wie der Bundeswehr eingeräumt werden. 

Auch sollten Informationen zu traumatischen Erfahrungen und den Verpflichtungen von (Zeit-)Soldat:innen nicht vernachlässigt werden. Ebenso gegen eine verpflichtende Teilnahme der Bildungsakteure spricht sich die GEW aus. Vor allem die Bundeswehrbesuche als Werbezweck zur Nachwuchsrekrutierung sieht die GEW besonders kritisch. Interessanterweise befürwortet im Gegensatz dazu der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Stefan Düll, die Pläne zu den verpflichtenden Bundeswehrbesuchen. 

Der Elternverband NRW unterstützt das Vorhaben zur Verpflichtung der Bundeswehrbesuche ebenso. Der Witz daran: Die Besuche sollen die Demokratiebildung der Schüler:innen fördern, indem ihnen näher gebracht wird, welche Anforderungen staatliche Organe haben. Zur Demokratiebildung wird sicher nicht beitragen, wenn die Positionen und der Wunsch der Schüler:innen  ignoriert wird und ihnen kein Mitspracherecht bei dieser Angelegenheit gewährt wird. Die Aussagen des Elternverbands sind ziemlich schockierend. Denn eines scheint der Verband zu vergessen: Der Bundeswehr fehlt es an Soldat:innen und die Besuche des Militärs werden nicht ohne Hintergedanken durchgeführt. Zum Glück betrifft dies nicht alle Eltern.

Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bundesministerin für Bildung und Forschung, spricht sich klar für die Bundeswehrbesuche an Schulen aus. Für die Ministerin gehört Zivilschutz in die Schule, um die Jugendlichen für den Kriegsfall vorzubereiten. Autofahren ist ihnen noch untersagt, da sie zu jung sind, für den Krieg haben sie wohl schon das richtige Alter. Vielleicht sollte sich eine Ministerin, die weder aus dem Bildungs- und Pädagogikbereich, noch aus dem Militärbereich stammt, ein wenig zurückhalten. 

Eine fragwürdige Herangehensweise schlägt Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, vor. Zum 18. Geburtstag sollen die Jugendlichen in Deutschland von der Regierung ein ganz besonderes Geschenk bekommen: Einen Fragebogen. Dieser soll die Wehrfähigkeit und die Bereitschaft zum Wehrdienst der jungen Leute erfassen. Für Männer ist dieser Fragebogen obligatorisch, für Frauen freiwillig. Einige wehrfähige Jugendliche sollen dann zur Musterung geladen werden. Die  Landesschüler:innenvertretung NRW und der Landesschülerrat Bayern sehen darin einen unverblümten Vorboten einer erneuten Einführung der Wehrpflicht in Deutschland. Liebe Politiker und Politikerinnen, was ist daran so schwer zu verstehen, dass die junge Generation kein Interesse an Krieg hat? Zum Glück unterstützen nicht alle Parteien und nur wenige Politiker und Politikerinnen diese Idee. 

Berufsvorbereitung wird an Schulen teilweise komplett ignoriert; an eine Vorbereitung auf das spätere Leben wird gar nicht erst gedacht, aber die Vorbereitung für den Krieg soll verpflichtend für alle Schüler:innen werden. Als Nachwuchsrekrutierung oder als unterschwelliger Ersatz der Wehrpflicht wäre eine Verpflichtung dieser Praxis ein neuer Tiefpunkt der deutschen Bildungspolitik.

Eine Schule, mit einem bereits stattgefundenen Bundeswehrbesuch, hat sich übrigens nicht zu einem Interview oder einer Umfrage bereit erklärt. Auf die Frage, warum die Schule die Jugendoffizier:innen eingeladen hat, wollte man an den Schulen ebenso wenig eingehen. Der Hintergedanke zu der Einladung des militärischen Besuchs konnte sich daher nicht erschließen. 

Abwendung des Besuchs der Bundeswehr 

In einigen deutschen Bundesländern ist die Teilnahme der Schüler:innen bei den Besuchen der Jugendoffizier:innen verpflichtend. Oft widerspricht dies den Wertvorstellungen der Lernenden, der Lehrkräfte oder denen der Eltern. Einem anberaumtem Besuch der Bundeswehr kann jedoch auch entgegengewirkt werden. Der Verein “Schulfrei für die Bundeswehr. Lernen für den Frieden” hat diesbezüglich einige Empfehlungen zusammengefasst. Da die Schulen die Jugendoffizier:innen selbst einladen, sollten Betroffene mit der jeweiligen Lehrkraft oder der Schulleitung sprechen, eine Diskussion im Unterricht bietet sich an. Der Termin kann selbstverständlich ohne Probleme abgesagt werden. Sollte der Besuch feststehen und keine Abwendung mehr möglich sein, können Menschen von Friedensgruppen oder antimilitaristischen Gruppen behilflich sein. Falls sich jedoch ein Großteil der Klasse für den Besuch ausspricht, ist ein Rückzug leider nicht mehr möglich. Aber selbst wenn sich die Klasse gemeinsam gegen einen Besuch der Bundeswehr ausspricht, können Lehrkräfte und Schulen den Werbezug der Bundeswehr trotzdem durchführen lassen. 

Aufrüstung und Soldatensuche bei denen, die noch ihre Zukunft vor sich haben 

Paul Hardcastles Welthit “19” aus dem Jahr 1985 enthält Passagen einer Dokumentation, in der ein Veteran und ein Erzähler über den Vietnamkrieg berichten. Das Durchschnittsalter der Soldat:innen im Vietnamkrieg lag bei 19 Jahren, viele haben bis heute mit den physischen und psychischen Folgen zu kämpfen, viele kehrten nicht wieder heim. Soll unseren Jugendlichen das Gleiche erblühen? Sollte nicht mehr Zeit in den Erhalt und die Wiederkehr des Friedens als in die Rüstung und Anwerbung von Soldat:innen gesteckt werden? Ein Wunschgedanke.

Mehr zur Person

Paul Messall
Mehr als 20 Millionen Bildungsakteure leben in Deutschland – das sind ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Entweder sind sie als Rezipienten oder als Mitarbeitende Teil des Schulsystems. Umso wichtiger ist die Aufgabe der Bildungspolitik, diesen Bereich vernünftig zu gestalten und weiterzuentwickeln. Aber Überraschung! Nicht immer wird sie dieser Aufgabe gerecht. Wie viele andere Mitwirkende am Schulsystem musste ich häufig Erfahrungen mit fragwürdigen Entscheidungen, Gesetzen und Positionen der Bildungspolitik machen. Oft kommen die zu kurz, die das System Schule und Bildung überhaupt als Ganzes bilden. Auf meiner Expedition von Schule und Abi, über das Lehramtsstudium bis hin zum Bildungsaktivisten, habe ich das Schulsystem in Deutschland von einer anderen, komplexen Seite kennengelernt. Gerade diese Erfahrungen motivieren mich, zum Berichten von Themen, über die meist geschwiegen wird. Ein Dozent sagte damals zu mir: „Sie können sowieso nichts ändern.“ – Das wollen wir doch mal sehen.
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