Portugiesische Schüler:innen sind trotz Eurokrise sehr erfolgreich bei PISA (Quelle: pixabay)
Schönes Wetter, Fußball und die herzliche Bevölkerung — diese Dinge fallen wohl den meisten ein, wenn sie an Portugal denken. Aber wie sieht es aus mit dem portugiesischen Bildungssystem? Hinter den malerischen Kulissen des Landes verbirgt sich ein Bildungssystem, das die kulturellen Werte und die geschichtliche Entwicklung der iberischen Nation widerspiegelt. Portugals Bildungssystem durchlief in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Wandel, geprägt von Reformen und Anpassungen, um den wachsenden Anforderungen der globalisierten Welt gerecht zu werden.
Wie das portugiesische Bildungssystem jetzt aussieht, schauen wir uns in diesem Artikel genauer an. Wenn ihr Interesse habt, könnt ihr euch auch gerne in unseren anderen Beiträgen dieser Reihe über die Bildungssysteme in Schweden, Vietnam, Belgien, Kuba oder Polen vorbeischauen.
Die allgemeine Schulpflicht wurde in Portugal erst in den 1970er Jahren eingeführt. 55 Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren können keinen Abschluss einer weiterführenden Schule vorweisen. Dazu kam die Eurokrise im Jahr 2009: Die daraus resultierenden Sparmaßnahmen hätten eine noch größere Gefahr für Portugals Bildung werden können. Aber statt alle Ausgaben zu reduzieren, traf Portugals Regierung wichtige Entscheidungen, die in der Bevölkerung nicht immer gut ankamen: zum Beispiel erhöhte sie die allgemeine Klassengröße.
Seit der neuen Regierung unter Antonio Costa (Partido Socialista) investiert Portugal wieder zunehmend mehr in die Bildung. Mit 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt Portugal damit sogar über dem EU-Durchschnitt. Hinzu kommen weitere Maßnahmen, wie kostenlose Schulbücher oder der Ausbau kostenloser Vorschulen, die Portugals Bildungssystem zu einem Aufschwung verhelfen, der sich auch in den Ergebnissen der PISA-Studien der letzten Jahre zeigt.
Im Jahr 2000 fand sich Portugal noch am unteren Ende der PISA-Liste wieder, doch bis 2018 verzeichnete es einen Anstieg auf 492 Punkte, leicht über dem OECD-Durchschnitt von 489 Punkten und sogar über dem reicheren Nachbarn Spanien, der 481 Punkte erreichte. Diese positive Entwicklung bezeichnet OECD-Direktor Andreas Schleicher als die "größte Erfolgsgeschichte" der PISA-Studie in Europa. Die Schulabbrecherquote, die 2002 noch bei über 40 Prozent lag, ist auf bemerkenswerte 11,8 Prozent gesunken, während der EU-Durchschnitt bei 10,6 Prozent liegt.
Diese Fortschritte sind umso beeindruckender, wenn man historische Herausforderungen berücksichtigt, wie beispielsweise einen hohen Analphabetismus im Jahr 1974 von 45 Prozent. Heute verfügen fast alle Lehrer:innen in Portugal über einen Masterabschluss. Die Bildungsreformen zielen darauf ab, sozialen Aufstieg durch eine starke öffentliche Bildung zu fördern.
Ein weiterer Schritt in Richtung Gleichstellung war die Schließung von privaten, staatlich finanzierten Schulen zugunsten des öffentlichen Schulsystems. Die Schülerzahlen für staatliche Privatschulen haben sich dadurch auf nur noch vier Prozent reduziert. Diese Entwicklungen unterstreichen nicht nur den Bildungswandel in Portugal, sondern auch das Engagement des Landes für eine nachhaltige und integrative Bildungspolitik.
Das portugiesische Bildungssystem wird durch das Bildungsministerium reguliert, während das Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Hochschulbildung (Ministério da Ciência, Tecnologia e Ensino Superior – MCTES) die Politik und Budgets für die Hochschulbildung überwacht. Das Bildungswesen ist dabei in vier Stufen unterteilt: Educação Pré-escolar (Vorschulbildung), Ensino básico (Grund-/Erstbildung), Ensino secundário (Sekundarschulbildung) und Ensino superior (Hochschulbildung). Schüler:innen vom sechsten bis zum achtzehnten Lebensjahr unterliegen in Portugal der Schulpflicht. Nach der neunten Klasse folgen drei weitere Pflichtjahre, in denen die Schüler:innen das Abitur oder eine Berufsausbildung anstreben können.
Das Bildungssystem Portugals weist eine vielfältige Struktur auf, wobei staatlich finanzierte Privatschulen etwa vier Prozent ausmachen, öffentliche Schulen knapp 83 Prozent und die verbleibenden 13 Prozent auf private Einrichtungen entfallen, für die ausschließlich die Eltern bezahlen. Interessanterweise unterhält die römisch-katholische Kirche in Portugal Hunderte Schulen und bietet gemäß dem Konkordat von 2004 auch Religionsunterricht in öffentlichen Schulen an, jedoch nur mit Zustimmung der Eltern.
Die Vorschulbildung in Portugal, auch bekannt als Educação Pré-escolar, wird für Kinder unter drei Jahren durch das Ministerium für Arbeit, Solidarität und Soziale Sicherheit (Ministério do Trabalho, Solidariedade e Segurança Social) reguliert. Eltern haben die Möglichkeit, zwischen Kindergärten (creches) oder Tagesmüttern (amas) zu wählen, um die Bedürfnisse ihrer Kleinkinder zu erfüllen.
Für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren steht die Vorschule zur Verfügung, auch wenn der Besuch nicht verpflichtend ist. Dennoch wird sie von vielen berufstätigen Eltern als eine wertvolle Option wahrgenommen. Sowohl öffentliche als auch private Vorschulen bieten ihre Dienste an, wodurch Eltern je nach ihren Präferenzen und Bedürfnissen die geeignete Einrichtung für ihre Kinder auswählen können.
Die Grundschulbildung (Ensino Básico) ist in Portugal von sechs bis fünfzehn Jahren obligatorisch. Dieser Bildungsabschnitt ist in drei Zyklen unterteilt: der erste Zyklus von Klassenstufe eins bis vier, der zweite Zyklus von der fünften bis zur sechsten Klasse) und der dritte Zyklus geht von der siebten bis zur neunten Klasse.
Im ersten Zyklus werden Schüler:innen in den Fächern Mathematik, Portugiesisch, Englisch (als erste Fremdsprache), Kunst und Sport unterrichtet. Zusätzlich bietet der öffentliche Grundschulbereich in Portugal weitere Pflichtstunden, darunter Studienhilfe und Aufgabenbetreuung.
Im zweiten Zyklus werden die Schüler:innen auf einer Skala von eins bis fünf bewertet. Dabei ist die fünf (excelente), im Gegensatz zum deutschen Notensystem, die beste Note, die Schüler:innen bekommen können und eine eins (fraco) bedeutet ungenügend.
Zu den Fächern des ersten Zyklus kommen weitere Naturwissenschaften, Geschichte und Geografie, Musik sowie Moral- oder Religionsunterricht und Informatik hinzu. Zudem ist jede öffentliche Schule verpflichtet, eine bestimmte Anzahl von Stunden für Hausaufgabenbetreuung anzubieten.
Im dritten Zyklus wird das Angebot durch eine zweite Fremdsprache ergänzt, die frei wählbar ist (z.B. Spanisch, Französisch, Deutsch), sowie Fächer wie Physik und Chemie. Diese Struktur stellt sicher, dass die Schülerinnen und Schüler eine breite Grundbildung erhalten und gleichzeitig die Möglichkeit haben, ihre Interessen zu vertiefen und ihre Fähigkeiten in verschiedenen Disziplinen zu entwickeln.
Die Sekundarschulbildung in Portugal erstreckt sich von fünfzehn bis achtzehn Jahren und ist verpflichtend. Während dieser Phase haben die Schüler:innen die Möglichkeit, verschiedene Ausrichtungen zu wählen, die ihren Interessen oder beruflichen Zielen entsprechen. Die öffentliche Sekundarschulbildung in Portugal ist nicht nur kostenlos, sondern auch qualitativ hochwertig. Daneben gibt es private Schulen, oft katholische Einrichtungen, internationale Schulen und Internate, die alternative Bildungsmöglichkeiten anbieten.
Von der zehnten bis zur zwölften Klasse ist die Sekundarschulbildung anders organisiert. Studierende müssen ein Profil wählen und können zwischen verschiedenen Optionen entscheiden:
Die Bewertung erfolgt nun auf einer linearen Skala von 1 bis 20, wobei auch Dezimalwerte wie 10,1 oder 18,3 verwendet werden können. Um die Sekundarschule abzuschließen, müssen Schüler:innen alle Fächer bestehen, und es gibt verpflichtende Prüfungen am Ende der elften und zwölften Klasse.
Kindern aus einkommensschwachen Familien stehen finanzielle Unterstützung und Stipendien zur Verfügung. Außerdem können Eltern finanzielle Hilfe über Ação Social Escolar (ASE) beantragen. Diese Unterstützung erstreckt sich auch auf Kinder mit Behinderungen. Portugal strebt ein inklusives Bildungssystem (educação inclusiva) an, und die meisten Regelschulen bieten Programme für besondere Bildungsbedürfnisse (SEN) an.
Die Hochschulbildung in Portugal umfasst staatliche und private Universitäten sowie Fachhochschulen. Studiengebühren sind üblich, wobei die Kosten an staatlichen Einrichtungen tendenziell niedriger sind als an privaten, und zudem je nach Fachrichtung variieren. Der Abschluss der Hochschulreife allein reicht für den Zugang zu einer Hochschulbildung nicht aus, da das Bewerbungsverfahren dabei in der Hand der Hochschulen liegt.
Das portugiesische Bildungssystem zeigt eine beeindruckende Entwicklung und Anpassung an die Herausforderungen der globalisierten Welt. Von historischen Herausforderungen wie einem hohen Analphabetismus bis hin zu aktuellen Reformen und Investitionen hat Portugal erfolgreich seinen Weg zu einem Bildungssystem geebnet, das nicht nur nationale kulturelle Werte widerspiegelt, sondern auch international Anerkennung findet. Die Fortschritte, insbesondere im Rahmen der PISA-Studien, unterstreichen die Erfolgsgeschichte und das Engagement Portugals für eine inklusive, nachhaltige Bildungspolitik. Mit einem Fokus auf sozialen Aufstieg, Gleichstellung und vielfältige Bildungsmöglichkeiten zeigt Portugal, dass Bildung der Schlüssel zu einer vielversprechenden Zukunft ist.
Was haltet ihr vom portugiesischen Bildungssystem? Schreibt es uns gerne in die Kommentare!