“Wir müssten alle viel mehr voneinander lernen”: Emily Horbach über das Referendariat

Von
Albert Koch
|
15
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August 2024
|
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Porträtfoto Emily Horbach

Emily Horbach unterrichtet Englisch und Geografie und coacht nebenbei angehende Lehrer:innen. Sie erzählt uns von ihren Erfahrungen aus dem Referendariat. (Quelle: Privat)

In der Lehrausbildung ist das Referendariat ein entscheidender Abschnitt. Nach Jahren des Studiums, das sich überwiegend auf die Theorie des Unterrichtens und das Fachwissen bezieht, heißt es nun, sich vor eine Klasse zu stellen und den Unterricht selbst zu leiten. Was diese Zeit so besonders macht und wie ihr sie am besten meistert, haben wir mit der Lehrerin und Influencerin Emily Horbach im Interview besprochen. Emily hat ihr Lehramtsstudium in Mainz abgeschlossen und anschließend ihr Referendariat in Berlin absolviert, wo sie heute Englisch und Geografie an einem Gymnasium unterrichtet. Sie erzählt uns, warum ihr das Referendariat besser gefallen hat als das Studium, was eine gute Selbstorganisation ausmacht und wie ihr euch am besten auf eine Prüfungsstunde vorbereitet.

Lehrer News: Warum hast du dich damals entschieden, Lehrerin zu werden?

Emily Horbach: Ich wollte ursprünglich eigentlich gar nicht Lehrerin werden und nach dem Abi habe ich auch nicht so richtig gewusst, was ich machen möchte. Allerdings habe ich schon immer viele pädagogische Tätigkeiten, beispielsweise in Feriencamps, ausgeführt und mich für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen interessiert. Meine Mutter meinte dann, ich solle Lehramt studieren. Ich habe mir damals mit 19 Jahren nicht so viele Gedanken gemacht oder langfristig geplant und bin einfach mit zwei Freundinnen fürs Lehramtsstudium nach Mainz gegangen. Da habe ich meine Seminare besucht und Prüfungen geschrieben, aber hatte dieses ganze Schulthema und Lehrersein noch gar nicht richtig auf dem Schirm, auch weil in der Uni dazu nicht viel kam. Alles war sehr theoretisch und aufs Fachliche fokussiert, ich hatte wenig Bezug zur Schule. 

Der erste Moment, an dem ich dachte: “Das ist ja wohl der beste Job der Welt!”, war, als ich mein erstes vertiefendes Praktikum im fünften Semester gemacht habe. Da habe ich gemerkt, Unterrichten macht super viel Spaß, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten ist genau mein Ding.

Lehrer News: Also hat dir später das Referendariat auch besser gefallen als das Studium?

Emily Horbach: Viel besser! Das war genau dieser Kontrast zwischen der Theorie und der Praxis, der mir gezeigt hat, was mir liegt. Ich habe das Studium gut und ordentlich abschließen können, aber das Referendariat war dann meine Zeit. Ich habe mich aufgehoben und inspiriert gefühlt. Gerade in Berlin ist es so, dass Referendar:innen notgedrungen alleine vor die Klasse gestellt werden. Auch wenn man ein:e Mentor:in hat, macht man viel selbstständigen Unterricht. Das hat mir gutgetan und mir die Möglichkeit gegeben, mich auszuprobieren und genau das zu machen, was mir Spaß macht. Zum Glück waren meine Seminarleiter:innen auch ganz fantastisch und haben mir viele gute Ideen gegeben, die ich dann im Unterricht erproben konnte. Deswegen war das Referendariat, vielleicht im Gegensatz zu dem, was viele andere berichten, eine wirklich schöne Zeit.

Lehrer News: Was war das Highlight in deinem Referendariat?

Emily Horbach: Es gab eine Situation in der Examensstunde, an die ich mich noch gut erinnere und die ich wahrscheinlich nie vergessen werde. Es gab einen Schüler in meinem Englisch-Grundkurs, der leider Schwierigkeiten im Unterricht hatte und auch gehemmt war, sich zu melden und etwas beizutragen. Aber in der Examensstunde – es gab eine Diskussion darüber, wie Jugendliche so sind – hat er als letzter gesprochen und seinen Beitrag abgeschlossen mit: “I mean, no risk, no fun!” Ich habe von Herzen gelacht und die ganze Kommission auch. Das war so herzerwärmend, weil ich wusste, dass er eigentlich gehemmt ist und eine solche Angst davor hat, Fehler zu machen, aber trotzdem haut er am Ende so selbstbewusst diesen Spruch raus. Der Schüler hat mir gezeigt, dass meine Arbeit Früchte getragen hat, und er hat das in diesem Moment während meiner Examensstunde auch ein bisschen für mich gemacht. Das ist schön, wenn man als Lehrerin so eine Bestätigung bekommt.

"Macht euch eure Situation zunutze." Emily Horbach ermutigt Referendar:innen dazu, offen mit den Schüler:innen zu sein. (Quelle: Privat)

Lehrer News: Gab es von Anfang an eine gute Beziehung zu den Schüler:innen und einen guten Umgang miteinander oder wirkte die Vorstellung, ohne viel Vorerfahrung zum ersten Mal richtig zu unterrichten, einschüchternd auf dich?

Emily Horbach: Beängstigend kann es am Anfang natürlich schon sein, gerade bei älteren Schüler:innen. Ich war zunächst wahnsinnig aufgeregt. Das sind aber alles Situationen, an denen wir wachsen, und gerade Referendar:innen sind eigentlich in der perfekten Lage, um eine gute Verbindung mit den Schüler:innen aufzubauen. Wenn jemand versteht, wie es ist, in einer Prüfungssituation zu sein, dann sind es die Schüler:innen. Die haben eine wahnsinnige Empathie und Verständnis dafür, dass man gestresst ist und unter Druck steht – wenn man es mit ihnen teilt. Deswegen rate ich Referendar:innen auch immer, offen damit umzugehen. Ihr müsst euch nicht verstecken und so tun, als wärt ihr schon fünfzehn Jahre im Dienst, sondern macht euch eure Situation zunutze. Teilt den Schüler:innen eure Aufregung vor einer Prüfungsstunde mit und holt sie damit ab. Wenn sie eine Sache verstehen, dann dass man vor Prüfungen unter Druck steht. Und damit sollte man spielen und arbeiten.

Lehrer News: Wo hat es gehakt? Was hat dir Schwierigkeiten bereitet?

Emily Horbach: Was mir schwergefallen ist und wo ich wenig Unterstützung hatte, ist die Selbstorganisation. Auch wenn das im Referendariat noch einigermaßen geht, ist eine sehr gute Organisation immer wichtig. Und die sollte man eben von Anfang an haben. Ich hatte sie leider nicht und dementsprechend hatte ich am Ende des Referendariats ein paar Materialien in Papierform, ein paar digital abgespeichert. Ich hatte kein System. 

Als ich dann angefangen habe, Vollzeit zu arbeiten, war ich zuerst völlig überfordert. Denn es kommt ja noch einiges hinzu: Elternarbeit, Klassenleitung, Klassenfahrten und so weiter. Wenn man da organisatorisch nicht gut aufgestellt ist, verpasst man Termine und versäumt einiges. Die Zettel auf dem Schreibtisch häufen sich. Die Organisation ist also ein Punkt, der mir im Referendariat wirklich schwergefallen ist.

Lehrer News: Hättest du dir in dieser Hinsicht mehr Unterstützung gewünscht?

Emily Horbach: Ja. Zum Beispiel mithilfe eines Workshops, seien es 90 Minuten, zum Thema “Wie organisiere ich mich als Lehrer:in”, damit man zumindest mal eine Vorstellung davon hat. Die Herausforderung als Lehrer:in ist nämlich, dass man wahnsinnig viele Sachen parallel organisieren muss. In anderen Unternehmen gibt es eine:n Manager:in für so etwas, für Lehrkräfte nicht. Man muss alles selbst organisieren, selbst Prioritäten setzen. Wir müssen gar nicht erst über Bürokratie im Schulsystem sprechen, davon gibt es zu viel.

Lehrer News: Gibt es weitere Punkte, in denen du als Referendarin mehr Unterstützung gebraucht hättest?

Emily Horbach: Fachlich, methodisch und didaktisch war ich sehr gut ausgebildet. Wo noch mehr Input nötig gewesen wäre, war der Umgang mit Konfliktsituationen, sei es mit Schüler:innen oder mit Eltern. Da gibt es sicherlich gute Strategien, aber die muss man kennen. Ich hatte zwar das Privileg, an einer sehr guten Schule arbeiten zu können, wo die Schüler:innen fleißig waren und eher aus bildungsnahen Elternhäusern stammten und dementsprechend nicht viele disziplinarische Probleme auftraten, aber es kam schon manchmal vor. Da ist man erstmal aufgeschmissen, wenn sich ein:e Schüler:in einem widersetzt. Das Thema Classroom-Management war zwar ein Teil der Ausbildung, aber der war leider ausbaufähig.

Lehrer News: Was würdest du am liebsten am Referendariat ändern, wenn du könntest?

Emily Horbach: Man sollte früher anfangen, die Studierenden in den “Schulmodus” zu versetzen. Ich habe mal gehört – ich weiß nicht, ob es stimmt –, dass die Lehramtsstudent:innen in den USA zuallererst ein Handbuch mit Unterrichtsstrategien bekommen, in dem sehr konkrete Beispiele für verschiedene Unterrichtssituationen aufgezählt sind. Die Amerikaner:innen sind sowieso sehr gut darin, Didaktik konkret darzulegen. Zusätzlich braucht man Vorbilder! Auch da ist Amerika wieder ein geeignetes Beispiel. Dort gibt es ganze Datenbanken von Mitschnitten aus dem Schulunterricht für angehende Lehrer:innen, damit sie schon einmal sehen können, wie ausgebildete Lehrkräfte mit gewissen Situationen umgehen. Wir müssten alle viel mehr voneinander lernen. Unterrichten ist eine sehr schwere Tätigkeit, aber man muss das Rad auch nicht neu erfinden. Es gibt sehr viele supergute Lehrer:innen, die herausgefunden haben, wie es funktioniert. Das muss mehr geteilt werden mit jungen Leuten, im Referendariat und auch schon davor.

Lehrer News: Sollte man auch die Digitalisierung mehr in den Fokus des Referendariats rücken?

Emily Horbach: Ja. Aber man muss auch darüber sprechen, dass rein digitaler Unterricht nicht die beste Lösung ist. Man muss differenzieren können, welche digitalen Tools den Lernenden am meisten bringen. Unterrichten muss allgemein mehr als Handwerk verstanden werden. Die theoretische Basis ist zwar wichtig, aber es ist in der Ausbildung ebenso wichtig, Unterrichten wie ein Handwerk zu behandeln, bei dem es Strategien gibt, die man anwenden und allem voran erlernen kann.

Übung macht den Meister. Wer mehr übt, ist souveräner und kann im Unterricht spontaner und flexibler reagieren. Deshalb: übt eure Prüfungsstunden.

Lehrer News: Dein Tipp an alle Referendar:innen da draußen?

Emily Horbach: Übt eure Prüfungsstunden wie ein Theaterstück. Das bedeutet, ihr plant eure Stunde, erstellt Material, habt eine Aufgabenstellung und wisst, wie ihr die Diskussion leiten wollt, und das probt ihr so eins zu eins mit Freund:innen, Partner:innen oder Familie. Sagt genau das, was ihr zum Einstieg sagen wollt, gebt ihnen die Arbeitsblätter zum Ausfüllen, macht Überleitungen etc. Das klingt nach Schauspielerei und das ist es auch. Aber nur so erkennt ihr die Schwachstellen eurer Prüfungsstunde. Es ist letztlich egal, ob ihr eine:n 25-jährige:n oder eine:n 16-jährige:n vor euch sitzen habt: Wenn etwas nicht stimmt, erkennt ihr es sofort. Und Übung macht den Meister. Wer mehr übt, ist souveräner und kann im Unterricht spontaner und flexibler reagieren. Deshalb: übt eure Prüfungsstunden.

Lehrer News: Vielen Dank für das Gespräch!

Neben ihrer Tätigkeit als Gymnasiallehrerin ist Emily Horbach unter dem Namen emitheteacher auf Instagram aktiv, wo sie ihre Tipps für Lehrer:innen und Referendar:innen weitergibt. Außerdem teilt sie weitere Erfahrungen über ihren YouTube-Kanal, bietet über ihre Website Coachings für Referendar:innen an und hat ein Buch über Erfolgsstrategien im Referendariat geschrieben.

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