Betroffene haben oft das Gefühl, mit ihren Depressionen allein zu sein. Offene Gespräche können dieses Gefühl abschwächen und Hilfe vermitteln. (Quelle: Canva)
Fernunterricht, Lockdown, Social Distancing in der Pandemie, Lehrkräftemangel sowie globale Krisen und Konflikte – die letzten Jahre waren von zahlreichen Belastungen geprägt, die nachhaltige Spuren in der psychischen Gesundheit vieler Menschen, besonders in der von Schüler:innen und Lehrkräften, hinterlassen haben. In den DAK Kinder- und Jugendreports von 2022 und 2023 konnte beispielsweise ein starker Anstieg von Depressionen, Angst- und Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zum Vorpandemiejahr 2019 festgestellt werden. Doch auch Erwachsene sind nicht vor mentalen Erkrankungen gefeit. So verzeichnet das Robert-Koch-Institut “in allen Geschlechter-, Alters- und Bildungsgruppen” im Beobachtungszeitraum 2019 bis 2023 einen Anstieg “depressiver Symptome”. Wie erkenne ich aber Depressionen bei meinen Schüler:innen, Kolleg:innen und bei mir selbst?
Mit Schulen als erster Anlaufstellen für Früherkennung und Prävention von psychischen Erkrankungen im Blick möchten wir uns im Rahmen der Themenwoche Stress und Depressionen mit der psychischen Erkrankung Depression auseinandersetzen und Lehrkräften praktische Hilfestellungen an die Hand geben, um angemessen auf Verdachtsfälle von Depressionen im Klassen- oder Lehrerzimmer reagieren und Betroffene unterstützen zu können.
Früher wurde oft angenommen, dass Depressionen ausschließlich mit anhaltender Traurigkeit einhergehen. Betroffenen haftete außerdem das Stigma an, zu schwach oder zu sensibel zu sein. Das Bewusstsein für die Schwere der Erkrankung und die Vielfalt der Symptome hat sich jedoch gewandelt, auch durch die Verbreitung sozialer Medien.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Depressionen sehr unterschiedlich verlaufen können. Sie können episodisch auftreten, von Phasen der Besserung begleitet sein, über Wochen und Monate anhalten oder immer wiederkehren. Die Ursachen variieren stark, so lassen sich in einigen Fällen konkrete Auslöser ausmachen, in anderen Fällen tritt die Erkrankung schleichend auf. Der Schweregrad von Depressionen wird anhand von Anzeichen eingeteilt, die von leicht über mittelschwer bis schwer reichen. Dieser kann von Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen festgestellt werden. Mittlerweile gilt es als gesichert, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen, genauso wie zusätzliche Belastungsfaktoren.
Während Stimmungsschwankungen und Probleme mit der Motivation zu einer normal verlaufenden Pubertät oftmals dazugehören, lohnt es sich dennoch, genauer hinzusehen. Auch gilt zu beachten, dass die Symptome von Kindern zwar grundsätzlich denen von Erwachsenen ähneln, es aber auch Unterschiede im Erscheinungsbild gibt.
Zu den Leitsymptomen zählen eine niedergeschlagene oder gereizte Stimmung, der Verlust an Interessen oder Hobbys, Antriebs- und Energielosigkeit und ein veränderter Appetit. Konstante Müdigkeit und Konzentrationsstörungen können zudem auf Schlafstörungen oder übermäßiges Schlafbedürfnis hinweisen. Aggressivität, Gedanken an den Tod und Rückzug sind außerdem weitere Alarmsignale für Depressionen. Bei jüngeren Kindern können auffälliges Spielverhalten, Wutausbrüche und vermindertes Interesse an Bewegung auf psychische Erkrankungen hinweisen. Auch psychosomatische Symptome wie Bauch- oder Kopfschmerzen, die keine körperliche Ursache zu haben scheinen, lassen sich häufig auf Depressionen zurückführen.
Wichtig ist, zwischen Depressionen und normalem, pubertären Verhalten zu unterscheiden. Eine Depression besteht zu großer Wahrscheinlichkeit, wenn mehrere Symptome zusammenkommen und über einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen bestehen bleiben. Zwischen Mädchen und Jungen können geschlechtsspezifische Unterschiede auftreten. Bei Mädchen zeigen sich häufiger Schuldgefühle und Appetitlosigkeit, während Jungen vermehrt reizbar sind und ihre bedrückten Gefühle verharmlosen. Auch der Wunsch, “komplett verschwinden zu wollen”, ist ernst zu nehmen. Bei diesem kann es sich um ein erstes Anzeichen von Suizidgedanken handeln und die Betroffenen sollten dringend professionelle Hilfe und Unterstützung erhalten.
Für Lehrkräfte ist es von großer Bedeutung, die Belastungsfaktoren zu verstehen, um Ansatzpunkte zu kennen und Depressionen vorzubeugen. Da Kinder und Jugendliche viel Zeit in der Schule unter Gleichaltrigen verbringen, kann der Schulkontext ein großer Belastungsfaktor sein. Schulische Probleme wie schlechte Noten, der Vergleich mit Anderen, die drohende Gefahr des Sitzenbleibens und dadurch ausgelöste Zweifel an den eigenen Fähigkeiten können den empfundenen Druck auf die Schüler:innen verstärken.
Ein schlechtes Klassenklima kann ebenfalls depressive Symptome befeuern. In diesem Zusammenhang steht auch Mobbing, bei dem es sich um das wiederholte, gezielte Ärgern oder Erniedrigen einer Person über einen längeren Zeitraum handelt. Dies führt zu psychischen Belastungen. Neben Mobbing können auch allgemeine Schwierigkeiten im sozialen Umgang mit Gleichaltrigen, basierend auf negativen Gedanken oder eingeschränkten sozialen Fähigkeiten, sowie konfliktreiche Freundschaften und Beziehungen die Entstehung einer Depression fördern.
Geflüchtete Kinder und Jugendliche, die aus beschwerlichen Situationen in ihren Heimatländern fliehen mussten, sind besonders anfällig für psychische Erkrankungen wie Depressionen. Die Flucht bringt oft traumatische Erlebnisse, Gewalt und Trennungen von wichtigen Bezugspersonen mit sich. Die Ankunft im Zielland verbessert zwar einige Bedingungen, aber die Belastungen wirken weiter. Unsicherer Aufenthaltsstatus, finanzielle Schwierigkeiten und die Herausforderungen der Integration in eine neue Kultur können zu Stress und Ängsten führen. Zudem können die Kinder und Jugendlichen meist die Sprache noch nicht fließend sprechen. Dies kann dazu führen, dass sie sich isoliert fühlen.
Darüber hinaus nimmt auch die Familiensituation Einfluss auf die psychische Gesundheit der Kinder. Scheidung der Eltern, soziale Benachteiligung, negatives elterliches Verhalten oder gar psychische Erkrankungen der Eltern haben oftmals negative Auswirkungen auf das Befinden von Schüler:innen. Schließlich spielen auch einschneidende Erlebnisse wie Gewalterfahrungen oder Verluste durch Krankheit und Tod eine Rolle als Belastungsfaktoren.
Alkohol und andere Drogen sind besonders für Kinder und Jugendliche schädlich, weil sich ihr Gehirn noch in der Entwicklung befindet. Der Konsum erhöht das Risiko für Depressionen und psychische Probleme. Dennoch neigen gerade Jugendliche mit psychischen Symptomen oft dazu, zu diesen Substanzen zu greifen, was jedoch nur kurzfristige Ablenkung bietet und langfristig die Probleme verschärft.
Doch nicht nur Schüler:innen können an Depressionen erkranken. Auch Lehrkräften kann es passieren, unter dem enormen Druck der Arbeitsbelastung, persönlichen Erlebnissen oder globalen Krisen zusammenzubrechen. Wenn die gedrückte Stimmung zu einer Dauerbelastung wird, ist jedoch Vorsicht geboten. Leiden wir gar selbst an Symptomen wie Schlafstörungen, Appetitveränderungen oder permanenter Niedergeschlagenheit, sollten wir achtsam in uns hineinhören. Was brauche ich gerade – eine Verschnaufpause, jemandem zum Reden oder sogar eine längere Auszeit, in der ich Ruhe und Erholung finden kann? Dadurch, dass Depressionen durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden und in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten, ist es sinnvoll, den Bezug zu uns selbst herzustellen. Dies kann durch Meditation, Tagebuchschreiben oder Spaziergänge im Alleingang geschehen. Irgendwann ist hierbei jedoch auch die Grenze erreicht und wir sollten professionelle Hilfe in Erwägung ziehen.
Durch ihre Beobachterrolle im Umfeld der Kinder und Jugendlichen und als vertrauensvolle Ansprechpartner:innen können Lehrkräfte entscheidend dazu beitragen, psychische Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und dagegen vorzugehen. Stellen Lehrkräfte mehrere Symptome über einen längeren Zeitraum fest und kennen vielleicht sogar bestimmte Belastungsfaktoren in der Biografie der Schülerin oder des Schülers, ist es ratsam, das Gespräch mit Kolleg:innen und dem Fachpersonal wie Schulpsycholog:innen und Sozialarbeiter:innen zu suchen und die Beobachtungen abzugleichen. Konkrete Anzeichen wie verschlechterte Leistungen können dabei Indizien sein, genauso wie ein allgemeines Desinteresse und Antriebslosigkeit der Schüler:innen.
Im nächsten Schritt sollten die betroffenen Kinder direkt angesprochen werden. In einer ruhigen und stressfreien Situation, ohne die Klassenkamerad:innen, kann den Schüler:innen klargemacht werden, dass die Informationen vertraulich behandelt und nicht weitergegeben werden, es sei denn, die Schüler:innen stimmen ausdrücklich zu oder sie selbst oder Andere schweben in Gefahr. Um Vertrauen zu schaffen, sollte auch die weitere Absprache mit dem Schulpersonal transparent gemacht werden.
Hilfreich für das Gespräch ist es, den Schüler:innen auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen deutlich zu machen, dass ihre Sorgen und Gefühle ernst genommen werden. Teilt den Schüler:innen zu Beginn mit, dass euch Veränderungen im Verhalten oder in der Stimmung aufgefallen sind, wie etwa eine geringere Beteiligung am Unterricht, Zurückgezogenheit oder Niedergeschlagenheit. Formuliert dies am besten auf der Verhaltensebene und betont, dass ihr euch Sorgen macht. Das Projekt “ich bin alles @ Schule” empfiehlt die konkrete Formulierung: “Ich merke, dass du in letzter Zeit oft niedergeschlagen bist und dich oft zurückziehst. Kannst du verstehen, dass ich diese Beobachtungen gemacht habe? Gibt es Dinge oder Veränderungen in der Klasse, die dich belasten? Ich möchte herausfinden, was dich belastet und würde dich gerne unterstützen.” Dies kann sicherstellen, dass sich die betroffenen Schüler:innen gesehen, aber nicht gegängelt oder bedrängt fühlen.
Für den erfolgreichen Verlauf des Gesprächs ist es wichtig, gut zuzuhören, den Schüler:innen Verständnis zu zeigen, Wertungen und Verurteilungen weitestgehend zu vermeiden, keine leeren Versprechungen zu machen, geduldig und transparent zu sein und Abweisungen nicht persönlich zu nehmen. Viele Schüler:innen brauchen Zeit, um sich zu öffnen und gegebenenfalls Scham zu überwinden.
Darüber hinaus liegt es nicht in der Verantwortung von Lehrkräften, die psychischen Probleme und Herausforderungen ihrer Schüler:innen eigenständig zu lösen. Solltet ihr während eines Gesprächs mit Schüler:innen, die psychisch belastet oder erkrankt sind, an eure eigenen Grenzen stoßen oder euch unsicher fühlen, könnt ihr euch an eine für die Schule zuständige Fachperson, wie beispielsweise Schulpsycholog:innen oder Schulsozialarbeiter:innen, wenden. Es empfiehlt sich, diesen Schritt auch transparent den Schüler:innen mitzuteilen und sie um ihr Einverständnis zu bitten.
Wenn die Schüler:innen mit dieser Einbindung nicht einverstanden sind, ihr jedoch spürt, dass ihr Unterstützung benötigt, besteht die Möglichkeit, ohne Weitergabe persönlicher Informationen allgemeinen Rat von den Fachpersonen einzuholen.
Auch wenn ihr das Gefühl habt, euren Kolleg:innen geht es über einen längeren Zeitraum nicht gut, kann es helfen, ein offenes Gespräch zu suchen und Verständnis zu zeigen. Sollten Tipps und Hilfsangebote erwünscht sein, könnt ihr auf folgende Beratungsstellen hinweisen.
Lehrkräfte können sich auf dem neuen digitalen Infoportal “ich bin alles @ Schule” evidenzbasierte Informationen zu Depressionen und psychischen Erkrankungen bei Schüler:innen einholen. Das Projekt wurde von der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des LMU Klinikums München gemeinsam mit der Beisheim Stiftung entwickelt und ging im November 2023 online. Durch die konkreten Handlungs- und Gesprächsvorschläge bietet das Portal einen praxisnahen Bezug zum Umgang mit psychischen Erkrankungen im Schulkontext. Ziel des Portals ist es, die Früherkennung und Prävention durch eigenständige Lehrkräfte zu erhöhen.
Über die Website 116117 können sich Betroffene oder Eltern von betroffenen Schüler:innen Unterstützung suchen. Über den Online-Terminservice werden psychotherapeutische Sprechstunden vermittelt, in denen akute fachliche Beratung zum weiteren Vorgehen herangezogen werden kann. Zudem kann die Nummer 116117 auch am Telefon gewählt und im direkten Kontakt ein Termin mit Psychotherapeut:innen vereinbart werden. Diese Seite eignet sich auch für die Empfehlung an betroffene Kolleg:innen.
Für akute Krisensituationen existieren mittlerweile verschiedene Hilfsangebote. Einerseits können Telefonseelsorgen rund um die Uhr per Telefon anonym erreicht werden. Bei den regionalen Krisendiensten können Leidende telefonische Beratung, E-Mail-Beratung oder Beratungen mit ausgebildeten Psychotherapeut:innen, Sozialarbeiter:innen oder Pädagog:innen vor Ort erhalten. Die Deutsche Depressionshilfe hat auf ihrer Website die verschiedenen Beratungsstellen in Deutschland zusammengetragen, um schnell Hilfe zu gewährleisten. Für Kinder und Jugendliche eignen sich altersspezifische Telefonangebote wie die Nummer gegen Kummer, bei der über Belastungen anonym und kostenfrei gesprochen werden kann. Mittlerweile bieten viele Portale auch Online-Chats an, die es schüchternen oder telefonscheuen Personen ermöglicht, sich über die Probleme mit Anderen auszutauschen.
Vom Gebrauch von Apps von nicht-offiziellen Trägern sollte jedoch abgesehen werden, da diese oftmals keine professionelle Hilfe ersetzen und Symptome sogar verschlimmern können.
Die Psychotherapeutensuche gestaltet sich oft langwierig. Psychotherapeutische oder psychiatrische Kliniken können Betroffene bei schweren Krisen unterstützen und ihnen eine Auszeit von ihrem belastenden Alltag bieten. Die Aufenthaltsdauer variiert dabei von zwei Wochen akuter Krisenunterstützung bis zu einem Langzeitaufenthalt. Websites wie klinikfinder-psychosomatik unterstützen bei der geeigneten Suche.
Wenn der Bauch oder der Kopf wehtut, holen wir uns medizinischen Rat. Nicht anders sollten wir Depressionen und psychische Erkrankungen ernst nehmen und so früh wie möglich Unterstützung einholen und bieten. Lehrkräfte können dabei durch ihre vertrauensvolle Nähe als Ankerpunkt für eine Früherkennung und Prävention fungieren. Wichtig ist zu verstehen, dass jede Person von Depressionen betroffen sein kann. Daher sollte eine offene Kommunikation das Stigma aufbrechen.
Innerhalb unserer Themenwoche werden wir zudem Podcasts und Bücher zum Thema vorstellen, ein Interview mit Expert:innen zum Umgang mit Krieg und Krisenbildern führen und euch Ideen mitgeben, wie ihr das Thema Depressionen im Unterricht vermitteln könnt. Wenn euch das Thema interessiert, schaut auch bei unserer vergangenen Themenwoche Mentale Gesundheit vorbei.