Der Bildungsboom in Singapur: Das Erfolgsrezept des Spitzenreiters

Der Stadtstaat Singapur bei Nacht

Singapur ist Spitzenreiter im Schulvergleich. Welche Faktoren machen das Bildungssystem so erfolgreich? (Quelle: Canva)

Singapur – Der Ort, an dem sich die Welt trifft. Die blühende Metropole verfügt über eine grandiose Infrastruktur, ein exzellentes Finanzwesen und einen vielfältigen kulturellen Austausch. Dazu kommt ein ausgeklügeltes Bildungssystem. Spätestens seit der Stadtstaat im internationalen Bildungsvergleich regelmäßig Spitzenplätze belegt, ist das weltweite Interesse an Singapur geweckt. Bei den letzten PISA-Tests erzielten Schüler:innen aus Singapur in den Bereichen Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaften Spitzenergebnisse. Besonders beeindruckend: Noch vor einem halben Jahrhundert konnte ein Großteil der Bevölkerung nicht richtig lesen und schreiben. 

Unsere Bildungsreise rund um den Globus hat uns bereits zu Schulen in die USA, nach Kuba, Vietnam, Japan, Frankreich oder Estland geführt. Nun ist es an der Zeit, einen Blick auf das Bildungssystem in Singapur zu werfen und herauszufinden, was hinter diesem Erfolg steckt.

Die Entwicklung Singapurs: Augenmerk auf das Bildungssystem

Singapur hat sich in den letzten 50 Jahren rasant entwickelt: Als der heutige Stadtstaat 1965 seine Unabhängigkeit erklärte, war die Mehrheit der heute 5,5 Millionen Einwohner:innen noch Analphabet:innen. Neben dem niedrigen Bildungsniveau standen die Gründerväter vor der Herausforderung, die multiethnische Bevölkerung aus China, Malaysia und Indien zu einem gemeinsamen Nationalstaat zu formen. Aufgrund des Rohstoffmangels wurde vor allem in die Bildung und damit in die Menschen investiert. Dadurch legte der damalige Premierminister den Grundstein dafür, dass hauptsächlich das Schulsystem und die Lehrkräfteausbildung gefördert wurden, was die Bildung enorm voranbrachte.

Ein weiterer Erklärungsansatz für das gut funktionierende Bildungssystem ist die ostasiatische Kultur, in der Demut und Dankbarkeit tief verwurzelt sind. Auch wenn Singapur in Bereichen wie Menschenrechte und Pressefreiheit noch große Probleme aufweist, stehen Disziplin, Fleiß und gutes Benehmen im Vordergrund, weshalb der eingeprägte Verhaltenskodex stets das Wohl des gesellschaftlichen Kollektivs in den Blick nimmt. 

Singapur zählt heute zu den am weitesten entwickelten und reichsten Städten der Welt. Die PISA-Studie zeigt Singapurs Spitzenwerte in allen Fächern und einen Vorsprung von zwei Jahren gegenüber den OECD-Ländern. Da in den letzten Jahren stark auf das Bildungssystem gesetzt wurde und viel Geld in diesen Sektor geflossen ist, bezeichnet der Bildungsexperte Christopher Gee die Bildungspolitik von Singapur als “Wettrüsten”. Dabei liegt der Fokus vor allem auf der Bildung der Lehrer:innen.

Der Lehrerberuf: Wertschätzung und Aufstiegschancen

Lehrer:innen in Singapur genießen ein hohes gesellschaftliches Ansehen, haben sehr gute Aufstiegschancen und verdienen gut. In Singapur haben nur die besten Absolvent:innen die Chance, den Lehrerberuf zu ergreifen. Sie erhalten eine hochwertige Ausbildung, müssen dafür aber auch hohe Anforderungen erfüllen. Lehrkräfte müssen beispielsweise jährlich 100 Stunden Fortbildung absolvieren und den Mehrwert der Weiterbildung nachweisen.

Die Aufstiegsmöglichkeiten sind vielfältig: Von der didaktischen Leitung bis zur Spitze des Systems als Meisterlehrer:in ist alles möglich. Meisterlehrer:innen haben die Möglichkeit, im direkten Kontakt mit dem Ministerium Einfluss auf das Schulsystem zu nehmen. Aufstiegsmöglichkeiten werden meistens durch die Professionalisierung als Pädagog:in, die Qualifizierung als Führungskraft oder über die fachliche Expertise erzielt. 

Schulleiter:innen bleiben höchstens sechs bis sieben Jahre an einer Schule, bevor sie vom Bildungsministerium an eine andere Schule versetzt werden, um ihre Fähigkeiten bestmöglich einzusetzen. Das Einkommen der Schulleiter:innen liegt etwa 50 Prozent über dem der Lehrkräfte. Die Zusammenarbeit der Schulleitung mit dem Kollegium sowie der Lehrkräfte untereinander spielt ebenfalls eine große Rolle. An jeder Schule gibt es verschiedene “Professionelle Lerngemeinschaften”, die z. B. nach Klassenteams, Teacher Leadership oder mittlerem Management gegliedert sind und sich wöchentlich treffen, um gemeinsam an relevanten Themen zu arbeiten. Darüber hinaus haben einige Schulen sogenannte “Teaching Labs” eingerichtet, in denen Lehrer:innen den Unterricht ihrer Kolleg:innen beobachten und anschließend gemeinsam darüber diskutieren und die Ergebnisse auswerten. An den Schulen in Singapur herrscht somit eine ausgeprägte Feedbackkultur.

Zusätzlich gibt es Superintendent:innen, die als Vertretende des Bildungsministeriums fungieren und für 12 bis 14 Schulen verantwortlich sind, die in einem Cluster zusammengefasst sind. Sie übernehmen die Schulaufsicht und haben die Aufgabe, die Effizienz des Schulsystems zu steigern, indem sie die Pläne des Bildungsministeriums an den einzelnen Schulstandorten umsetzen. Die Superintendentin:innen sind im ständigen Kontakt mit der Schulleitung und treffen sich einmal jährlich mit den Lehrkräften, um gemeinsame Wertvorstellungen zu entwickeln und zu stärken. 

Von der frühkindlichen Bildung bis zum Schulabschluss

Bereits in der frühkindlichen Erziehung setzt Singapur auf Bildung. Die Kinder lernen in der Kita nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern werden auch auf die Geschäftswelt vorbereitet. In der Kita “Little Tree House” können sie eigene Produktideen sammeln, ein Marketingkonzept erstellen, die Produkte herstellen und sie anschließend verkaufen. So können die Kinder zum Beispiel eine eigene Bäckerei gründen, in der sie dann Kekse backen und verkaufen. Die Kinder sollen zudem schon im frühen Alter den Wert von Geld kennenlernen und verstehen, was ihre Eltern beruflich machen. Sie lernen bereits im Kindergarten Englisch und Chinesisch. Zusätzlich schicken die Eltern ihre Kinder oft in eine Förderklasse, um die Sprachkenntnisse so früh wie möglich zu verbessern.

Nach dem Kindergarten unterteilt sich das Schulsystem bis zum Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung in eine sechsjährige Primarstufe, eine vier- bis fünfjährige Sekundarstufe I und eine zwei- bis dreijährige Sekundarstufe II. Obwohl keine offizielle Schulpflicht besteht, liegt die Einschulungsrate im Primarbereich bei annähernd 100 Prozent. Generell wird sich an einem Lehrplan nach wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. Dabei steht nicht nur die akademische Ausbildung im Vordergrund, sondern auch das Erlernen von Soft Skills und zukunftsrelevanten Fähigkeiten

Während dies für europäische Ohren zunächst nach Überforderung klingt, versucht Singapur, das Lernen spielerisch zu verpacken, um eine Überlastung erst gar nicht entstehen zu lassen. Die Direktorin des Kultusministeriums, Ho Peng, betont die Wichtigkeit, das Interesse und die Begeisterung der Schüler:innen zu wecken, um Lernerfolge zu erzielen. In den letzten Jahren wurde zudem versucht, das Bildungssystem stetig zu verbessern, den Druck auf die Kinder zu verringern und mehr auf Förderung und gezielte Unterstützung zu setzen. Der Erziehungswissenschaftler Jason Tan, der am National Institute of Education lehrt, äußert bei aller Freude über die Erfolge, trotzdem seine Bedenken. Das hohe Niveau und die Ansprüche erzeugen unter der Prämisse einer globalisierten Welt ständigen Druck und Ängste. “Nun haben Eltern schon das Gefühl, ihre Kinder konkurrieren nicht nur innerhalb ihres Staates, sondern mit der ganzen Welt”, so Tan. Der hohe Stellenwert von Bildung hat also auch eine deutliche Schattenseite.

Singapur hat durch die konsequenten Investitionen in die Bildung und eine starke Kultur der Leistungsorientierung in kürzester Zeit einen beeindruckenden Wandel vollzogen. Trotz der Herausforderungen bleibt das Bildungssystem Singapurs ein Modell für Erfolg, das weltweit Anklang findet.

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