Interview mit Leonie Lutz: TikTok, Medienkompetenz und die digitale Erziehung unserer Kinder

Von
Helen Mattes
|
21
.
September 2024
|
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Die Gründerin von "Kinder digital begleiten" Leonie Lutz

Leonie Lutz berät Eltern in Fragen der Medienerziehung. (Quelle: Hanna Witte Photography)

Kinder wachsen heute in einer von digitalen Medien geprägten Welt auf: Smartphones, Tablets und das Internet sind aus ihrem Alltag nicht mehr wegzudenken. Eltern und Erziehungsberechtigte stehen vor der Herausforderung, ihre Kinder sicher und kompetent durch die digitale Welt zu begleiten, ohne den Überblick zu verlieren. 

Mit diesem Thema beschäftigt sich auch Leonie Lutz. Sie ist Gründerin von “Kinder digital begleiten”, einer Plattform, die Eltern in Online-Kursen praktische Tipps zur Internetnutzung ihrer Kinder vermittelt und so im Umgang mit digitalen Medien unterstützt werden. In den Online-Kursen geht es beispielsweise darum, wie man mit Kindern über Medienthemen ins Gespräch kommt, welche Medienzeiten angemessen sind, wie man Apps sicher einstellt und wie digitale Familienregeln aussehen können. 

(Quelle: Kösel Verlag)

Außerdem ist Lutz Autorin des Spiegel-Bestsellers “Begleiten statt verbieten”, in dem es ebenfalls um die Medienerziehung von Kindern im digitalen Zeitalter geht. Eltern und Erziehungsberechtigte erhalten Ratschläge für den alltäglichen Umgang mit Medien, wobei der Fokus darauf liegt, Kinder sicher in der digitalen Welt zu begleiten, anstatt den Zugang zu Medien gänzlich einzuschränken. Dabei plädiert Lutz für einen offenen und dialogorientierten Ansatz, um gemeinsam die Herausforderungen und Chancen der digitalen Medien zu erkunden. Ebenso ist es wichtig, eine gute Balance zwischen klaren Regeln und Freiräumen zu finden, damit Kinder selbstbestimmt, aber immer in einem sicheren Rahmen Medienkompetenz entwickeln können. Darüber hinaus informiert Leonie Lutz auf ihrem Instagram-Kanal über aktuelle Themen. Im Interview erklärt sie, wie Eltern durch bewusste Begleitung und den offenen Dialog mit ihren Kindern deren Medienkompetenz fördern können, um sie sicher und selbstbestimmt in der digitalen Welt zu unterstützen.

Lehrer-News: Was hat Sie dazu inspiriert, das Projekt “Kinder digital begleiten” zu starten und wie hat sich Ihre Sicht auf die digitale Begleitung von Kindern seitdem verändert?

Lutz: Nun, ich bin selbst Mutter und habe viele Jahre in Online-Redaktionen gearbeitet. Als meine große Tochter ihr erstes Smartphone bekam, fragten mich viele Eltern im persönlichen Umfeld immer um Rat aufgrund meiner beruflichen Expertise. Dieses Wissen wollte ich auch anderen Familien weitergeben. Ich habe etwa neun Monate, getarnt als Kind, im Netz recherchiert. Da habe ich einige Phänomene erlebt, vor denen Kinder geschützt werden sollten. Cybergrooming, also die Anbahnung sexueller Kontakte durch Erwachsene, die sich als Gleichaltrige ausgeben, an Kinder und Jugendliche über das Internet, zum Beispiel. Aber ich habe auch positive Erfahrungen gemacht. Wenn man zum Beispiel in das Thema Gaming einsteigt und gemeinsam mit Kindern zockt, bekommt man ein besseres Gespür für die Faszination dafür und bemerkt, dass viele Computerspiele eben nicht per se schlecht sind – nur, weil sie an einem Bildschirm stattfinden. Ich denke, wir Eltern sollten uns viel mehr mit der digitalen Lebenswelt unserer Kinder beschäftigen. Nur wenn wir uns damit auskennen, können wir unsere Kinder an den Geräten begleiten und sie unterstützen. Diese Hilfe brauchen unsere Kinder. 

Lehrer-News: Wie definieren Sie “Medienkompetenz”? 

Lutz: Medienkompetenz bezeichnet die Fähigkeit, Medien und ihre Inhalte bewusst, kritisch und selbstbestimmt zu nutzen. Und dazu gehört nicht nur der technische Umgang mit digitalen Medien, sondern auch, sie zu verstehen, zu analysieren und Medieninhalte bewerten zu können. Kinder heute haben meist eine hervorragende Geräte-Kompetenz. Sie wissen genau, wie sie was bedienen können. Für Medienkompetenz brauchen sie jedoch Eltern wie Lehrkräfte, die mit ihnen über die gesehenen Inhalte sprechen sowie Apps und Anwendungen hinterfragen.

Lehrer-News: Was sind Ihrer Meinung nach effektive Methoden, um Kindern und Jugendlichen den kritischen Umgang mit digitalen Informationen und sozialen Medien zu vermitteln?

Lutz: Kinder benötigen das Wissen, dass es einen Unterschied zwischen redaktionellen und sozialen Medien gibt. Bei den sozialen Medien kann jeder alles hochladen. Jeder Nutzer kann Sender sein, jeder Empfänger. Und da besteht die Gefahr, dass es sich um Falschinformationen handelt. Redaktionelle Medien hingegen prüfen vorab ihre Quelle und lassen diese verifizieren. Hier können wir also davon ausgehen, dass es sich nicht um Falschinformationen handelt. Wenn Kinder also zum Beispiel Google nutzen, um etwas zu erfahren, sollten sie die Quelle prüfen, die das Ergebnis ausspuckt. Und weitere Webseiten besuchen, um die Quelle bewerten zu können. Besonders herausfordernd ist es, wenn Kinder TikTok nutzen, da hier viele Informationen zu finden sind, die schlichtweg falsch sind. Ich denke, da sollten wir mit Kindern viel im Dialog sein. Sie immer wieder fragen, was sie an den Geräten gesehen und erlebt haben und mit ihnen dann die Erlebnisse gemeinsam einordnen oder auch gemeinsam eine Suchmaschine bedienen. 

Lehrer-News: Welche Entwicklungen in der digitalen Welt beobachten Sie derzeit mit Sorge?

Lutz: Tatsächlich macht mir TikTok derzeit etwas Sorgen. Das war vor zwei, drei Jahren noch nicht so, da hätte ich gesagt “TikTok ist Fluch und Segen”. Momentan denke ich eher, “TikTok ist mehr Fluch als Segen”. Einerseits machen mir die politisch motivierten Falschinformationen Sorgen, andererseits aber auch die vielen propagandistischen und rassistischen Clips. Für Kinder ist es schlichtweg unmöglich, das alles einordnen zu können. TikTok hat eine Altersfreigabe ab 13 Jahren, allerdings gibt es – wie bei allen Apps – keine Altersverifikation. Das führt dazu, dass schon wesentlich jüngere Kinder die App nutzen und das finde ich problematisch. Ich würde auch jeder Lehrkraft empfehlen, sich intensiv mit TikTok auseinanderzusetzen, denn die Falschinformationen bleiben ja nicht in der App, die tauchen ja auch in der Schule auf, wenn Schüler:innen glauben, was sie bei TikTok gesehen haben.

Lehrer-News: Gibt es digitale Inhalte oder Plattformen, die Sie für Kinder besonders empfehlenswert finden?

Lutz: Unbedingt. In jedem Falle für Kinder die Kindersuchmaschine fragFinn.de. Außerdem alle Anwendungen, bei denen Kinder nicht nur Konsumenten sind, sondern auch zu Gestaltern werden. Das kann ganz simpel schon die Kamera- oder Videofunktion an digitalen Geräten sein, oder eben spezielle Apps wie „Stop Motion Studio“ wo sogenannte Legetrickfilme erstellt und mit Musik unterlegt werden können. Gerne mag ich auch die App “Audio Adventure – Tonstudio”. Damit können Kinder eigene Hörspiele oder Podcasts erstellen. Und zum Thema Medienkompetenz kann ich die kostenlose, werbefreie App „Kabu“ empfehlen. Sie klärt Kinder über gesellschaftspolitische Themen auf, beschäftigt sich aber auch mit digitalen Herausforderungen wie Kettenbriefe bei WhatsApp oder Künstliche Intelligenz.

Lehrer-News: Wie stehen Sie zu “Screen-Time”-Apps oder anderen Maßnahmen, um die Zeit an digitalen Geräten zu begrenzen? 

Lutz: Kinder benötigen einen klaren Rahmen, das steht außer Frage. Die offiziellen Medienzeit-Empfehlungen der BZgA sind hier hilfreich. Allerdings ist mir auch wichtig zu betonen, dass Medienzeiten auch sehr individuell betrachtet werden sollten. Ein Kind, das den Schultag, die Hausaufgaben und vielleicht schon ein Hobby am Tag bewerkstelligt hat, kann dann natürlich auch eine Runde zocken, eben weil auch das für viele Kids ein Hobby ist. Medienzeiten sind wichtig und geben Richtwerte, nicht vergessen dürfen wir aber auch die Inhalte, die Kinder konsumieren. Kurz gesagt: Es ist sinnvoller, eine Stunde mit der Erstellung eines eigenen Podcasts zu verbringen oder an einer Welt im Minecraft Kreativ-Modus zu bauen, als eine Stunde bei TikTok zu scrollen. 

Lehrer-News: Wie können Eltern und Schulen gemeinsam dazu beitragen, ein verantwortungsvolles digitales Umfeld zu schaffen? 

Lutz: Einmal braucht es Regeln, sowohl zuhause als auch in der Institution Schule. Es braucht die Vermittlung von Medienkompetenz und das Angebot an die Kinder, Apps kennenzulernen, mit denen sie die Geräte als Werkzeuge nutzen können. Aktuell stehen die Geräte noch zu sehr für Konsum. Das ist schade, denn sie können so viel mehr. 

Lehrer-News: Vielen Dank für das Gespräch!

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