Bilder nach der Flut. An der Berufsbildenden Schule in Bad-Neuenahr Ahrweiler reichte das Wasser bis zur ersten Etage. (Quelle: Klaus Müller)
Weltweit bekommen Menschen die Auswirkungen des sich verändernden Klimas zu spüren. Während an einigen Orten auf der Welt die Bedingungen zunehmend lebensfeindlich werden, sind extremere Wettersituationen und sich häufende Naturkatastrophen fast überall eine Folge dieser Entwicklung. Eindrücklich für Deutschland wurde dies im Juli 2021, als es in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zu extremen Niederschlägen kam, die in einer Flut endeten. Besonders betroffen davon war das Ahrtal, wo die Folgen dieses Ereignisses an den Schulen noch heute omnipräsent sind. Wir sprechen mit Betroffenen aus der Region und blicken darauf darauf, was die Folgen von Naturkatastrophen für das Bildungssystem auch bei uns bedeuten können.
Erst vor einigen Tagen riefen die Überschwemmungen im Norden Deutschlands wieder Erinnerungen an Geschehnisse aus der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 und deren Folgen hervor. Zweieinhalb Jahre ist es her, als das Ahrtal von unvorstellbarem Starkregen überrascht wurde, der in rasendem Tempo die Flussläufe füllte, sodass die Ahr meterhoch über die Ufer trat. Menschen starben, verloren ihr Zuhause und eine ganze Region hat ein Trauma erlitten und stand vor riesigen Trümmerhaufen. Auch an einigen Schulen vor Ort sind die Folgen der Katastrophe überall sichtbar und spürbar. Die Bilder davon haben uns in Deutschland gezeigt, dass unsere Schulen nicht sicher sind, in Anbetracht dessen, dass sich extreme Wetterereignisse durch den Klimawandel auch hierzulande häufen werden. Denn die Schäden des Unglücks sind dort noch lange nicht behoben, die Instandsetzung von Unterrichtsräumen und Turnhallen wird noch andauern und viel Geld kosten.
Um zu sehen, wie genau die Situation an den Schulen im Ahrtal heute ist, haben wir mit zwei Schulleitern aus Bad-Neuenahr Ahrweiler gesprochen. Einer davon ist Marco Bastiaansen von der Erich-Kästner-Realschule plus (EKS): “Schüler und Lehrkräfte sind besonders in der ersten Zeit nach der Flut über sich hinaus gewachsen. Das “Wir-Gefühl”, besser bekannt als “SolidAhrität” hat die Schulgemeinschaft zusammenwachsen lassen. Davon profitieren wir noch heute. Wir konnten zwischenzeitlich wieder einige schulische Einrichtungen z.B. die Mensa der Ganztagsschule in Betrieb nehmen und auch Fachräume stehen wieder zur Verfügung. Dies ist für jeden sichtbar und vermittelt einen positiven Eindruck. Die Menschen bleiben zuversichtlich und sehen an vielen Stellen Licht am Ende des Tunnels.”
Dr. Klaus Müller ist Lehrer an der Berufsbildenden Schule des Landkreises (BBS) und seit August letzten Jahres kommissarischer Schulleiter. Dort wurden von der Flut zwei Drittel der Klassenräume sowie Räumlichkeiten für die Ausbildungsberufe zerstört. “Unserer Schule geht es eigentlich gut, in dem Sinne, dass wir uns mit der Flut arrangiert haben. Wir haben in den letzten zwei Jahren Provisorien erhalten. Das sind drei Hallen mit jeweils 20 Klassenräumen. Dazu haben wir seit diesem Schuljahr eine Halle mit vier Werkstatträumen, die in Betrieb, sodass wir auch den fachpraktischen Unterricht wieder anbieten können”, beschreibt Müller die aktuelle Situation. “Wir sind froh über die Räume, weil anders könnten wir den Schulunterricht nicht fortführen”, führt er weiter aus. Denn seine Schüler:innen mussten zwischenzeitlich an sechs Standorte verteilt werden und dafür bis zu zweistündige Schulwege in Kauf nehmen.
Müller verdeutlicht jedoch, dass der Schulalltag an der BBS trotzdem noch lange Zeit mit einer Mehrbelastung verbunden sein wird: “Diese Hallen bestehen aus 60 Millimeter dünnen Sandwichpaneelen, aus Blech und Bauschaum. Das heißt, selbst Unterricht bei normaler Lautstärke ist im Nachbarraum hörbar. Das ist für die Schülerschaft und die Kolleginnen und Kollegen natürlich sehr anstrengend. Die Schulgemeinschaft hat sich daran weitestgehend gewöhnt, aber es ist natürlich eine Belastung. Jetzt kommt die Marathonstrecke”, findet Müller ein Bild, um die Situation zu beschreiben. Denn der Wiederaufbau des Schulgebäudes wird erst für die Planung ausgeschrieben. Bis alle Räumlichkeiten wieder bezugsfertig sind, wird es noch lange dauern.
Auch wenn die Flut im Ahrtal (noch) ein Ausnahmeereignis darstellt, wird deutlich, wie wichtig die Sicherheit unserer Infrastruktur ist. Auch bei den Wiederaufbaumaßnahmen an den beiden Schulen findet der Hochwasserschutz eine besondere Beachtung, wie Marco Bastiaansen erklärt: “Bei allen Bemühungen des Aufbaus und der Gestaltung steht das Nachhaltigkeitsprinzip an oberster Stelle. Es wird gründlich abgewogen und mit vielen Stellen und Beteiligten entschieden, wie gebaut werden soll. Die Hochwassersicherheit steht an oberster Stelle. Der Beteiligungsprozess kann mehr Zeit in Anspruch nehmen, dafür steht am Ende eine qualitativ hochwertige und dauerhafte Lösung, die noch dazu modernen Ansprüchen gerecht wird”. Für den Hochwasserschutz gibt es verschiedene Richtwerte. Einer davon ist die HQ100-Linie, die anzeigt, mit welchem Pegelstand einmal alle 100 Jahre zu rechnen ist. Müller erklärt, was das für seine Schule bedeutet: “Das hatte schon zur Folge, dass die letzten Provisorien Gebäude bereits auf ein Meter hohen Stelzen errichtet worden sind. Auch beim Wiederaufbau müssen die Richtlinien berücksichtigt werden. Naturwissenschaftliche Räume sind jetzt im ersten Stock neu errichtet worden, um Räume mit kostbarer Einrichtung, auch Computerräume, zu schützen. Wie das für die Werkstätten und Großküchen wird, muss die Zukunft zeigen und die Aufgabe der Planer und Architekten.”
Doch es wird wichtig sein, dass die Kommunen bundesweit bei zukünftigen Baumaßnahmen und Investitionen in die Infrastruktur den Katastrophenschutz mehr berücksichtigen. Schließlich handelt es sich dabei um langfristige Investitionen, die sich in Jahrzehnten bei den zunehmenden Extremwetterlagen auszahlen könnten.
Auch die psychische Belastung infolge der Katastrophe ist im Ahrtal noch immer spürbar. Erst im November berichtete der SWR, dass die Anfragen für Therapieplätze sogar weiter anstiegen. Die Nachfrage nach psychotherapeutischen Beratungsterminen im Traumahilfezentrum des Ahrtals sei noch immer größer als das Angebot. Ende 2021 war das Zentrum eröffnet worden und hat seither nach eigenen Angaben weit über 300 Kinder betreut und beraten. Ähnlich groß sei weiterhin auch die Inanspruchnahme von Hilfe direkt an der Schule. Die beiden Schulleiter aus Bad-Neuenahr Ahrweiler zeigen dankbar für jene psychologische Betreuungsangebote und die Sozialpädagog:innen an ihrer Schule, die vieles auffangen würden.
Doch Bastiaansen und Müller schaffen es, auch positiv in die Zukunft zu blicken. “Die Schulgemeinschaft ist seit der Flut besonders zusammengerückt, das Bewusstsein über das gemeinsame Schicksal ist in der gesamten Schulgemeinschaft sehr präsent. Schüler und Lehrkräfte identifizieren sich mehr denn je mit der Schule", beschreibt Bastiaansen. “Die selbstlose Hilfe für andere, oftmals fremde Menschen, wirkt auf mich noch immer sehr beeindruckend. In unserer Schule treffe ich auf freundliche, offene und auch dankbare Kinder, die sich bei uns sichtlich wohl fühlen und eine positive Schulatmosphäre prägen.” Auch Müller zeigt sich hoffnungsvoll, weil “die meisten Menschen einfach positiv herangehen, mit einem ‚Wir schaffen das‘. Viele sind selbst betroffen gewesen, konnten nicht mehr in ihren Wohnungen und Häusern wohnen. Und die Leute haben den Kopf nicht in den Sand gesteckt, sondern haben gesagt: Es muss weitergehen. Das hat mich unglaublich beeindruckt und ich glaube, es gibt auch vielen Leuten Kraft für die Zukunft.”
Während Deutschland von unregelmäßigen Extremen betroffen ist, leben laut den Ergebnissen des UNICEF-Klima-Risiko-Indexes weltweit eine Milliarde Kinder in einem Land, das aufgrund der Klimakrise extrem stark gefährdet ist. Das Kinderhilfswerk bemüht sich schon lange, Druck auf die relevanten Akteur:innen aus Wirtschaft und Politik auszuüben, indem sie darauf hinweist, dass Kinder besonders unter den Folgen des Klimawandels leiden. Es zitiert seine ehemalige Exekutivdirektorin Henrietta Fore (201 8-2021 im Amt) in einer Pressemitteilung dazu: “Wenn wir den Zugang von Kindern zur Grundversorgung verbessern, beispielsweise zu Wasser und sanitären Einrichtungen, zu Gesundheitsversorgung und Bildung, kann sich auch ihre Fähigkeit, Klimagefahren zu überleben, erheblich verbessern”. UNICEF hat bezogen auf die Bildung weiterführend eine klare Forderung formuliert. Man müsse “Kindern Kenntnisse im Bereich Klima und Umweltschutz vermitteln”. Dies sei entscheidend “für die Anpassung an und die Vorbereitung auf die Auswirkungen des Klimawandels” der Kinder.
Welche Verknüpfungen dazu führen, dass im globalen Süden vielerorts auch die Bildung unter der Erderwärmung leiden, erklärt die Österreichische Entwicklungsorganisation Jugend eine Welt anschaulich: “Überschwemmungen zerstören Schulen, Stürme zwingen Menschen zur Flucht, Dürren führen dazu, dass Kinder weite Wege zurücklegen müssen, um Wasser zu holen oder Tiere zu versorgen. Folglich bleibt weniger Zeit für wichtige Schulbildung oder noch schlimmer: Familien können es sich schlicht nicht mehr leisten, ihre Kinder in die Schule zu schicken.” Daraus ergibt sich ein Problem, denn Bildung hilft Menschen dabei, sich aus der Armut zu befreien. Doch wenn arme Menschen besonders unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden und dadurch deren Kindern der Zugang zu Bildung verwehrt bleibt, dann lässt sich daraus eine Negativspirale ableiten.
Ein weiteres Problem in vielen betroffenen Regionen ist, dass die Infrastruktur extrem gefährdet ist. Dort werden Naturkatastrophen zunehmend zur Regel und so müssen die Menschen mit Wechseln von Dürre und Starkregen umgehen. Diesen Umständen können die Schulen teilweise nicht mehr standhalten, wie UNICEF an einem Beispiel aus Malawi in Südostafrika schildert: Im ersten Halbjahr 2023 konnten die Schüler:innen der Chikuli Primary School im Süden des Landes für längere Zeit nicht zur Schule gehen, weil die Gebäude während des Zyklons, einem schweren Tropensturm im Februar, geschlossen waren oder als Auffanglager für diejenigen dienten, die ihr Zuhause verloren haben. Doch auch die Schulen selbst nehmen Schaden, wenn beispielsweise sanitäre Anlagen von den Fluten mitgerissen und Wassersysteme zerstört werden. Solche Probleme sorgen dafür, dass sich Infektionskrankheiten schneller verbreiten können. In Malawi war dies ein Mitgrund zu einem Ausbruch von Cholera, weshalb viele Schulen für einige Zeit erneut schließen mussten.
Besonders Mädchen sind die Leidtragenden unter diesen Umständen. Aufgrund der Armut ihrer Familien werden sie oft sehr früh verheiratet, um von den Eltern nicht mehr selbst versorgt werden zu müssen. Das bedeutet in der Regel, dass sie nicht mehr zur Schule gehen dürfen, falls sie das überhaupt durften. Wie UNICEF in ihrem Beispiel aus Malawi hinweist, sind Mädchen auf Sanitäranlagen und eine Wasserversorgung angewiesen, da sie sonst “während ihrer Menstruation nicht in die Schule gehen können”. Das Kinderhilfswerk baut in einem Projekt Wassersysteme in Malawi, von denen die Dörfer und Schulen profitieren. Besonders jedoch die weibliche Bevölkerung, da in den Haushalten die Frauen und an den Schulen die Schüler:innen für das Wasserholen zuständig waren, was bis zu drei Stunden in Anspruch genommen hat.
Wenn Naturkatastrophen diese Infrastruktur zerstören, werden die Fortschritte zunichtegemacht, allen Kindern ihr Grundrecht auf Bildung zu ermöglichen. Das ist besonders in den Ländern tragisch, die hier ohnehin die größten Defizite haben. Es sind arme Regionen, im globalen Süden, die besonders unter der Klimakrise leiden.
Am Beispiel Ahrtal zeigt sich, wie wichtig ein gutes Bildungsangebot für das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen ist. Die beiden Schulleiter, die wir interviewt haben, machten genau diesen Punkt deutlich. “Wir bemühen uns, den schulischen Alltag wie vor der Flut aufrechtzuerhalten und den Kindern ein Stück ‘Normalität’ anzubieten. Bildung steht dabei absolut im Zentrum. Wir nutzen dazu alle pädagogischen Spielräume und suchen Lösungen, die dem einzelnen Schüler gerecht werden”, macht Bastiaansen die Herangehensweise seiner Schule deutlich. “Das waren auch unsere Erlebnisse direkt nach der Flut”, bestätigt Müller diesen Aspekt. “Unsere Schüler sagten, wir sind froh, dass wir Unterricht haben, wir sind froh, dass wir Normalität haben, dass wir herkommen können und wissen, es geht hier weiter in der Berufsausbildung” sagt er und bezieht sich dabei sogar auf die Zeit als seine Schüler:innen noch auf weit entfernte Standorte verteilt waren. Umso wichtiger ist es, dass Schulen als kritische Infrastruktur anerkannt werden und Kindern ihr Grundrecht auf Bildung auch im Krisenfall erhalten bleibt.