Vom Lehrkräftemangel bis zur Digitalisierung: Strategien für ein modernes Bildungssystem

Leere Tische und Stühle in einem Klassenzimmer

Sven Winkler vom Schulleitungsverband zeigt in seinem Beitrag, wie wir Bildung meistern können (Quelle: Canva).

Lehrkräftemangel: Lösungen für ein drängendes Problem

Das deutsche Bildungssystem steht vor zentralen Herausforderungen. Fachkräftemangel, schleppende Digitalisierung und gesellschaftlicher Wandel sind dabei einige Probleme, die innovative Lösungen und strategische Weichenstellungen erfordern. Der Lehrkräftemangel bildet sicherlich eines der drängendsten Probleme. Besonders in ländlichen Regionen und in den MINT-Fächern fehlen qualifizierte Fachkräfte. Die Rekrutierung neuer Lehrkräfte gestaltet sich schwierig, wenn immer weniger junge Menschen diesen Beruf wählen. Gleichzeitig geraten bestehende Lehrkräfte durch Überlastung an ihre Grenzen. Um diesem Trend entgegenzuwirken, braucht es ein breites Maßnahmenpaket, das den Beruf attraktiver macht und langfristige Lösungen bietet. Neben finanziellen Anreizen, die z.B. Lehrkräfte dazu motivieren könnten, sich für einige Jahre in ländlichen oder strukturschwachen Regionen zu engagieren, sollten klare und attraktive Wege zur persönlichen Entwicklung innerhalb des Schulsystems etabliert werden. Das Ermöglichen von Fachkarrieren, etwa als Lehrkräfte mit besonderen Aufgaben oder Koordinator*innen, sowie die Förderung von Aufstiegsmöglichkeiten in schulische Leitungs- oder Fachfunktionen und damit verbundene Anrechnungen und Zuschläge, würden den Beruf deutlich aufwerten. Flexible Arbeitszeitmodelle fördern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und könnten junge Menschen für den Lehrer*innenberuf gewinnen. Es stellt sich auch die Frage nach verbindlichen Kernarbeitszeiten und Anwesenheitszeiten, verbunden mit festen Arbeitsplätzen in den Schulen. Der gesetzlich geforderten Arbeitszeiterfassung von Lehrkräften kommt hier besonderes Gewicht zu.

Attraktive Arbeitsbedingungen: Wege zur Gewinnung neuer Lehrkräfte

Ein besonderes Augenmerk verdienen die Möglichkeiten und Verpflichtungen zu Weiterbildung und Qualifizierung von Lehrkräften. Was spräche gegen Boni, wenn Lehrkräfte nachweisen, dass sie sich fort- und weitergebildet haben oder selbst als Fort- und Weiterbildner*innen aktiv sind? Insbesondere Quereinsteiger*innen müssen mit berufsbegleitenden Fortbildungen gezielt gefördert werden, um den Einstieg in den Beruf zu erleichtern und den Verbleib zu sichern. Mentorenprogramme, in denen erfahrene Lehrkräfte neue Kollegen*innen begleiten, böten wertvolle Unterstützung. Ergänzend dazu könnten spezielle Programme für Menschen mit Migrationshintergrund die Vielfalt in den Kollegien fördern und den Beruf für unterschiedliche Zielgruppen attraktiver machen. Auch Stipendien oder spezielle Studienangebote für Interessierte könnten zur Gewinnung neuer Lehrkräfte beitragen.

Hohe Bedeutung erhält neben den Maßnahmen zur Gewinnung neuer auch die Entlastung der bereits tätigen Fachkräfte. Zusätzliche nicht-pädagogische Mitarbeiter*innen müssen zukünftig an allen Schulen Verwaltungsaufgaben übernehmen und der Ausbau von Schulsozialarbeit und Schulpsychologie sowie die Unterstützung durch externe Expert*innen in allen Schulformen würden den Arbeitsalltag erleichtern und Freiräume schaffen. Auch müssen Programme zu Prävention und der Förderung der Gesundheit integraler Bestandteil des Arbeitsalltags werden, um die langfristige Arbeitszufriedenheit und Gesundheit der Lehrkräfte zu gewährleisten.

Digitalisierung vorantreiben: Infrastruktur und Kompetenz im Fokus

Eine weitere große Herausforderung bildet der Bereich der Digitalisierung. Nach der Pandemie wurde diese als unverzichtbarer Bestandteil moderner Bildung erkannt. Doch trotz einzelner Fortschritte fehlt es an flächendeckender Umsetzung. Viele Schulen und Schüler*innen sind weiterhin unzureichend mit digitaler Infrastruktur ausgestattet, Lehrkräfte oft nicht ausreichend im Umgang mit neuen Technologien geschult. Hier müssen Bund, Länder und Kommunen stärker zusammenarbeiten, um technische Ausstattung, Fortbildungen und die Entwicklung von Medienkompetenz bei Schüler*innen voranzutreiben. Allerdings müssen neben der technischen Ausstattung ethische Fragestellungen, wie der verantwortungsvolle Einsatz von KI und Datenschutz, stärker berücksichtigt werden. Pädagogische Werte müssen beim Einsatz digitaler Tools klar erkennbar sein und stets im Vordergrund stehen.

Heterogenität und Inklusion: Herausforderungen und Chancen

Migration, Inklusion, gesellschaftliche Veränderungen und soziale Ungleichheit stellen das Bildungssystem insgesamt vor große Herausforderungen und wirken sich zunehmend auf den Schulalltag aus. Lehrkräfte benötigen interkulturelle Kompetenzen, um mit den Herausforderungen heterogener Lerngruppen umgehen zu können. Bildung ist durchgängig inklusiv zu gestalten, um alle Schüler*innen unabhängig von ihrer Herkunft oder ihren individuellen Bedürfnissen zu fördern und zu fordern. Unser demokratisches und wirtschaftliches System kann es sich nicht erlauben, auch nur Wenige abzuhängen - Aussortieren widerspricht einem humanistischen Weltbild und ist ökonomisch unsinnig.  Klar wird also, dass eine Fokussierung auf einzelfachliche Leistungen in wenigen Spezialdisziplinen nicht mehr genügt - es muss ein ganzheitlicher Bildungsgedanke mit systemischem Blick etabliert werden. Solche Ansätze fördern notwendige Schlüsselkompetenzen wie Problemlösungsfähigkeit, Kreativität und Teamarbeit; berufliche Orientierung und Praxisbezug sollten frühzeitig integriert werden. Erzieherische, allgemeinpädagogische und psychologische Aspekte gewinnen zusehends an Bedeutung und vermutlich werden wir Schulleiter*innen ebenso wie Lehrer*innen unsere diesbezügliche Haltung überprüfen müssen.

Gemeinsam für die Zukunft: Bildung als gesellschaftliche Aufgabe

Innovative Ansätze in Technologie und Pädagogik werden das Bildungssystem nachhaltig prägen. Künstliche Intelligenz wird mit Sicherheit personalisierte Lernwege ermöglichen und Lehrkräfte bei administrativen Aufgaben entlasten. Gleichzeitig gewinnen aber pädagogische Konzepte wie projektorientiertes Arbeiten zunehmend an Bedeutung. Ganzheitliche Ansätze fördern nicht nur Fachwissen, sondern auch Zukunftskompetenzen wie Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken, einem Deeper Learning, das für die zukünftige Arbeitswelt unverzichtbar ist.

In diesem Zusammenhang werden Nachhaltigkeit und Demokratiebildung eine immer wichtigere Rolle spielen. Schulen haben die Aufgabe, Schüler*innen zu verantwortungsbewussten und reflektierten Bürger*innen auszubilden. Die Integration dieser Themen in die Gestaltung von Schule bietet die Chance, junge Menschen für drängende globale Herausforderungen zu sensibilisieren und sie zur aktiven Mitgestaltung der Zukunft zu befähigen.

Insgesamt steht das deutsche Bildungssystem vor tiefgreifenden Veränderungen und Herausforderungen. Die Zusammenarbeit aller Akteur*innen – von Lehrkräften und Schulleitungen, der Politik, Eltern, Schüler*innen und der Wirtschaft – ist entscheidend, um die Potenziale für Bildung umfassend auszuschöpfen. Nur durch ein gemeinsames Engagement können die Weichen für eine zukunftsorientierte Bildung gestellt werden, die den Anforderungen von morgen gerecht wird. Alle Beteiligten müssen sich im Interesse des Wirtschaftsstandortes Deutschland klar und unmissverständlich zum Primat von Bildung bekennen – und entsprechende Schritte einleiten! Das gewinnt besondere Bedeutung, um extremen politischen Tendenzen gezielt entgegenwirken zu können.

Kurzvita

Sven Winkler ist Oberschuldirektor und Master of Arts (M.A.) in “Schulmanagement und Qualitätsentwicklung”, der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seit 2008 ist er in verantwortlichen Positionen in Schulleitung tätig, seit 2015 leitet er die Oberschule Osternburg in Oldenburg. Vor seinem Lehramtsstudium der Fächer, Wirtschaft, Technik und Physik absolvierte er eine handwerkliche Berufsausbildung und war mehrere Jahre als Unternehmer erfolgreich. Winkler engagiert sich ehrenamtlich als Vorstandsmitglied des Schulleitungsverbands Niedersachsen (SLVN) e.V. und er ist Vorsitzender des Allgemeinen Schulleitungsverbands Deutschland (ASD) e.V., der Dachorganisation der angeschlossenen deutschen Schulleitungsverbände. Inhaltliche Schwerpunkte setzt er in diesen Funktionen bei den aktuellen bildungspolitischen Fragestellungen und deren Konsequenzen für Schulleitungen sowie besonders den inhaltlichen Aspekten “Berufliche Orientierung” und “Ökonomische Grundbildung” im allgemeinbildenden Schulbereich. Nebenberuflich engagiert er sich als systemischer Coach, Ausbilder und Berater für (schulische) Führungskräfte. 

Wir bedanken uns bei dem Schulleitungsverband für ihren Beitrag und möchten hinzufügen, dass der Inhalt des Artikels nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wiedergibt.

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