Das Wahlprogramm der Grünen betont Barrierefreiheit, KI-Kompetenz und bessere Lernbedingungen für alle (Quelle: Canva)
Anlässlich der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar lohnt sich ein Blick auf die bildungspolitischen Konzepte der Parteien – denn die Weichen, die jetzt gestellt werden, entscheiden über die Zukunft von Millionen Schüler:innen, Auszubildenden und Studierenden.
Wie kann das Bildungssystem gerechter und zukunftsfähiger werden? Welche Reformen sind nötig, um Schulen besser auszustatten, die berufliche Bildung attraktiver zu machen und die Hochschulen krisenfest aufzustellen? Und welche Maßnahmen sind notwendig, damit Inklusion nicht nur ein Versprechen bleibt, sondern gelebte Realität wird?
In dieser Artikelreihe werfen wir einen detaillierten Blick auf die bildungspolitischen Konzepte der Parteien zur bevorstehenden Bundestagswahl. Neben dem Bündnis 90/Die Grünen haben wir auch die Programme von CDU/CSU, SPD, AfD und BSW untersucht sowie weitere Parteien wie FDP und Die Linke analysiert, deren Einzug in den Bundestag noch ungewiss ist.
Anmerkung der Redaktion: Die Reihenfolge der Parteien in dieser Artikelserie ist zufällig gewählt. Die Links zu den Analysen der weiteren Wahlprogramme werden sukzessive ergänzt, sobald die jeweiligen Artikel veröffentlicht sind.
Das Wahlprogramm “Zusammen wachsen” von Bündnis 90/Die Grünen für die Bundestagswahl 2025 umfasst insgesamt 157 Seiten. Auf den ersten Seiten ihres Wahlprogramms betonen die Grünen die Herausforderungen und Chancen, vor denen Deutschland steht, und formulieren ihre politischen Leitlinien für eine nachhaltige, gerechte und zukunftsorientierte Entwicklung.
Im ersten Kapitel In die Zukunft wachsen – ökologisch und ökonomisch skizzieren die Grünen ihre Vision einer klimaneutralen und wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Sie möchten auf Investitionen in erneuerbare Energien, Bürokratieabbau und Innovationsförderung setzen, um nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen. Gleichzeitig sollen soziale Gerechtigkeit und faire Arbeitsbedingungen gestärkt werden.
Im Abschnitt Einfach dabei sein heben die Grünen die Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit hervor. Sie möchten sich für bezahlbaren Wohnraum, faire Löhne, eine gerechtere Steuerpolitik und bessere Bildungs- und Betreuungsangebote einsetzen.
Im letzten Teil Frieden in Freiheit sichern – innen und außen stellen die Grünen ihre sicherheits- und außenpolitischen Ziele vor. Sie setzen auf eine starke europäische Zusammenarbeit, die Unterstützung der Ukraine, den Schutz der Demokratie sowie den Kampf gegen Extremismus und Diskriminierung.
Die Grünen wollen sich laut ihrem Wahlprogramm für eine umfassende Modernisierung des Schulsystems einsetzen, um Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten. Sie fordern moderne, barrierefreie und digital ausgestattete Schulgebäude sowie eine verstärkte Unterstützung durch Schulsozialarbeit, Schulpsychologie und Inklusionsteams.
Der Lehrkräftemangel soll durch attraktivere Arbeitsbedingungen, neue Qualifizierungswege und duale Studiengänge bekämpft werden. “Wir streben eine höhere gesellschaftliche Anerkennung des Lehrberufs an, um insbesondere den Lehrkräftemangel und Unterrichtsausfälle zu bekämpfen”, heißt es im Programm.
Besonderen Wert wollen die Grünen auf den Erwerb grundlegender Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen legen. Dadurch sollen Schulabbrüche verhindert und allen Schüler:innen eine erfolgreiche Bildungsbiografie ermöglicht werden. Sprachförderung soll früh in der Kita beginnen und kontinuierlich in der Schule fortgesetzt werden, wobei Mehrsprachigkeit als Ressource anerkannt werden soll.
Darüber hinaus setzen die Grünen auf die Stärkung der Medienkompetenz und den verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) im Schulunterricht. Digitale Bildung soll nicht nur den Zugang zu moderner Technik umfassen, sondern Schüler:innen auch befähigen, kritisch mit digitalen Informationen umzugehen und KI-Technologien reflektiert zu nutzen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen soll zudem sicherstellen, dass Bildungsinvestitionen bedarfsgerecht erfolgen und Schulen zukunftsfähig aufgestellt werden.
Die Partei fordert eine bedarfsgerechte Bildungsfinanzierung statt der bisherigen Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel. Sie beabsichtigen zudem eine engere Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen sowie eine stärkere Vernetzung von Schulen, Schulaufsicht und Jugendhilfe. Damit notwendige Investitionen nicht an verfassungsrechtlichen Hürden scheitern, streben sie gemeinsame Lösungen mit den Ländern an und fordern die Abschaffung des Kooperationsverbots.
Die Grünen wollen die berufliche Bildung stärken, um dem Fachkräftemangel in Industrie, Handwerk, Bildung und Gesundheitswesen entgegenzuwirken. Sie setzen sich für bessere finanzielle und soziale Rahmenbedingungen für Auszubildende ein, darunter eine höhere Mindestausbildungsvergütung, ein Azubi-Deutschland-Ticket und bessere Wohnmöglichkeiten durch den Ausbau von Auszubildendenwohnheimen.
Zur Verbesserung der Berufsorientierung sollen die Jugendberufsagenturen flächendeckend ausgebaut und die Schulen stärker in die Berufsorientierung einbezogen werden. Zudem wird die Ausbildungsgarantie weiterentwickelt, um allen Jugendlichen, unabhängig von Herkunft oder Förderbedarf, einen Ausbildungsplatz zu ermöglichen.
Außerdem positionieren sich die Grünen für eine Gleichstellung von beruflicher und akademischer Bildung. Dazu soll das BAföG reformiert, elternunabhängiger gestaltet und regelmäßig an steigende Lebenshaltungskosten angepasst werden. Im Programm heißt es: “Wir wollen das BAföG elternunabhängiger gestalten und das Einkommen der Geschwister aus der Berechnung herausnehmen. Die Wohnkostenpauschale soll den ortsüblichen Mieten angepasst werden. Mögliche Förderlücken zwischen Anträgen müssen vermieden werden.”
Zusätzlich soll der Bau und die Sanierung von Wohnheimen für Auszubildende und Studierende langfristig unterstützt werden, um bezahlbaren Wohnraum zu sichern. Lebenslanges Lernen soll als zentrales Element der beruflichen Entwicklung gefördert werden, um Menschen in einer sich wandelnden Arbeitswelt bessere Zukunftsperspektiven zu bieten.
Die Grünen wollen Hochschulen als Orte der Bildung, Wissenschaft und Forschung stärken, indem sie für bessere Arbeitsbedingungen, moderne Infrastruktur und mehr Chancengerechtigkeit sorgen. “Mit einer ‘Innovationsinitiative ZukunftsCampus’ wollen wir Hörsäle, Labore, Mensen und Bibliotheken, die oftmals baufällig oder veraltet sind, gemeinsam mit den Ländern klimagerecht modernisieren und zu resilienten Experimentierräumen für den nachhaltigen, digitalen Wandel machen”, schreiben sie in ihrem Programm. Die bestehenden Bund-Länder-Pakte für Hochschule, Wissenschaft und Forschung sollen fortgeführt und gezielt ergänzt werden, um Hochschulen eine stabile Grundfinanzierung zu sichern.
Um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, setzen sich die Grünen für weniger befristete Stellen in der Wissenschaft ein, insbesondere nach der Promotion. Daueraufgaben sollen auf Dauerstellen übertragen, alternative Karrierewege neben der Professur gestärkt und Familienfreundlichkeit in wissenschaftlichen Qualifikationswegen fest verankert werden. Zudem soll die internationale Zusammenarbeit in der Wissenschaft erleichtert werden, etwa durch schnellere Visaverfahren und eine Stärkung von Erasmus+.
Die Grünen betonen die Bedeutung von Wissenschaftsfreiheit und evidenzbasierter Politik. Forschungsförderung soll sich an wissenschaftlichen Kriterien orientieren und nicht politischem Kalkül unterliegen. Diskriminierung, Machtmissbrauch und Anfeindungen von Wissenschaftler:innen – etwa in der Klima- oder Geschlechterforschung – wollen sie entschieden bekämpfen und Wissenschaftskommunikation stärken.
Die Grünen setzen sich für eine inklusive Gesellschaft ein, in der Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt und gleichberechtigt leben können. Sie fordern den Abbau von Ableismus und bürokratischen Hürden sowie die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Dafür soll eine “Enquetekommission Inklusion” umfassende Vorschläge erarbeiten, während Barrierefreiheit – sowohl im analogen als auch im digitalen Raum – gesetzlich verankert und konsequent durchgesetzt wird. Im Programm heißt es: “Damit die Verwendung von Steuern und öffentlichen Geldern allen zugutekommt, müssen Inklusion und Barrierefreiheit in Gesetzgebungsverfahren stets mitgedacht werden”. Öffentliche Gebäude des Bundes sollen innerhalb von zehn Jahren vollständig barrierefrei werden.
Im Arbeitsleben soll der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt erleichtert werden, indem gesetzliche Schlupflöcher geschlossen und Werkstätten für behinderte Menschen zu inklusiven Unternehmen weiterentwickelt werden. Arbeitgeber sollen stärker in die Pflicht genommen werden, während gleichzeitig Förderprogramme und Unterstützungsleistungen ausgebaut werden. Auch in der Bundesverwaltung sollen Modellprojekte für mehr berufliche Teilhabe geschaffen werden.
Das Bildungssystem soll von der Kita bis zur Weiterbildung inklusiv gestaltet werden. Die Partei setzt sich dafür ein, dass Unterstützungsleistungen unbürokratisch bereitgestellt werden, um Chancengleichheit zu gewährleisten. Schulen sollen verstärkt auf Inklusion ausgerichtet werden, unter anderem durch den Ausbau von Mental Health Coaches sowie mehr barrierefreie Lernangebote.
Im Wohn- und Freizeitbereich setzen sich die Grünen für mehr inklusive Wohnformen, bessere Beratungsangebote und eine sozialraumorientierte Stadtplanung ein. Die Deutsche Gebärdensprache soll als nationale Minderheitensprache anerkannt und ein Kompetenzzentrum für barrierefreie Kommunikation eingerichtet werden. Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt, insbesondere für Frauen mit Behinderungen, sollen verstärkt werden. Auch chronische Erkrankungen wie Asthma oder Allergien sollen berücksichtigt werden, um eine gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen.
Die Grünen setzen sich für ein Bildungssystem ein, das Kindern mit Migrationsgeschichte und Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien gleiche Chancen auf Teilhabe und Aufstieg bietet. Sie schreiben: “Wir wollen, dass Integration in und durch Bildung nicht nur auf dem Papier, sondern vor allem auch in der Realität eine Regelaufgabe unseres Bildungssystems wird, von der Kita über die Schule, in Hochschule und beruflicher Bildung”.
Sie fordern einen diskriminierungssensiblen Umgang in Schulen und Kitas sowie eine wertschätzende Haltung in der Bildungspolitik, um Bildungsungleichheiten abzubauen. “Um die Chancen für alle Kinder von Anfang an gleich zu gestalten, setzen wir uns für diskriminierungssensible Fortbildungen in der Kindertagespflege und Lehrer*innenausbildung ein”, heißt es im Programm.
Die Grünen setzen in ihrem Wahlprogramm auf eine gerechtere Bildungspolitik, die Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von Herkunft oder sozialem Hintergrund gewährleisten soll. Sie fordern eine stärkere Förderung von Schulen in sozial benachteiligten Gebieten, mehr Investitionen in Inklusion und digitale Bildung sowie eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Zudem betonen sie die Bedeutung diskriminierungssensibler Bildungsangebote und einer wertschätzenden Haltung gegenüber Vielfalt im Bildungssystem.
Doch einige Fragen bleiben trotzdem offen: Wie genau soll die Umsetzung der Reformen finanziert werden, insbesondere angesichts verfassungsrechtlicher Hürden wie dem Kooperationsverbot? Inwiefern lassen sich ambitionierte Maßnahmen zur Inklusion und Sprachförderung bundesweit einheitlich umsetzen, wenn die Bildungshoheit bei den Ländern liegt? Und welche konkreten Schritte planen die Grünen, um den Lehrkräftemangel langfristig zu lösen? Obwohl die Grünen in ihrem Wahlprogramm umfassend auf Digitalisierung eingehen, bleibt unklar, wie sie die digitale Infrastruktur an Schulen konkret fördern wollen – ein DigitalPakt 2.0 wird nicht thematisiert. Während das Programm viele Ziele klar definiert, bleibt abzuwarten, wie diese in einer möglichen Regierungsverantwortung konkret umgesetzt werden können.