Auf der Suche nach Verwertbarem: Viele Kinder weltweit lassen die Schulbank zu früh hinter sich (Quelle: Canva)
Eines von zehn Kindern weltweit muss arbeiten, anstatt zur Schule zu gehen. Diese erschütternde Statistik legt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) als Teil der Vereinten Nationen (UN) offen. In konkreten Zahlen seien es circa 160 Millionen Kinder, die einer Form der entlohnten Arbeit nachgehen, anstatt die Schule zu besuchen – genaueren Erhebungsverfahren in Zusammenarbeit mit UNICEF zufolge leben über die Hälfte davon in Afrika südlich der Sahara. Die Gründe dafür differieren stark. Im Rahmen unserer Themenwoche “Bildung in Krieg und Krise” beleuchten wir einen Blickwinkel auf Schule und Kinder, der hierzulande nur allzu leicht übersehen wird.
Eines von unzähligen Beispielen: Ein zwölfjähriger Junge aus dem Jemen, der davon berichtet, täglich elf Stunden lang schwere körperliche Arbeit zu verrichten. In einem kurzen Reportageclip legt er einem Team der UNICEF auch die Gründe dafür offen: Sein Vater sei bereits verstorben, und seine Familie habe keine andere Möglichkeit, finanziell zurechtzukommen. Deshalb arbeite er seitdem in einer Eisenwerkstatt unter Bedingungen, die nicht annähernd genug Schutz bieten können. Dass seine schulische Bildung darunter leidet, darüber wirkt der junge Anas ebenso reflektiert wie entschieden: “Ich gehe nicht mehr zur Schule, weil meine Familie keinerlei Unterstützung hat. Deshalb schicke ich stattdessen meine Brüder in die Schule, damit sie zur Universität gehen und danach Arbeit finden können”, führt er mit einer solchen Entschlossenheit aus, die fast vergessen lässt, dass ein Kind in die Kamera spricht. Nicht nur ist er sich demnach der Wichtigkeit schulischer Bildung bewusst, sondern auch der Hierarchie, in der sich diese befindet und dem Privileg, das es braucht, um ihr nachgehen zu können.
Anas’ Lebensrealität spiegelt einen der häufigsten Gründe für Kinderarbeit auf der ganzen Welt wieder. Die finanzielle Abhängigkeit von Familien zu ihren Kindern als bezahlte Arbeitskräfte ist ein globales Problem, das obendrein nur bedingt in Zahlen zu fassen ist. Zwar existiert nach dem bereits erwähnten Bericht von 2021 der Wert von etwa 160 Millionen arbeitenden Kindern auf der Welt, die in ihrem Alter eigentlich ihrer schulischen Bildung nachgehen müssten. Doch wie Aussagen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) entnommen werden kann, werden beispielsweise Hilfsarbeiten für die Arbeitsverhältnisse von Eltern im Agrarsektor offiziell nicht als Kinderarbeit gewertet. Da laut FAO einerseits fast 70 Prozent der bereits erfassten Kinderarbeit in landwirtschaftlilchen Tätigkeiten verrichtet wird, und andererseits die gesamte Statistik von Kinderarbeit derzeit zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder einen Anstieg erlebt, liegt es sehr nahe, dass auch die verrichteten “Hilfsarbeiten” in unsicheren und körperlich überfordernden Umgebungen der globalen Landwirtschaft eine viel zu hohe Zahl schwer arbeitendener Kinder hervorbringen.
Dennoch kann Eltern in einer solchen Armut kaum vorgeworfen werden, sie seien Schuld an den Verhältnissen, in denen ihre Familien leben. Der Generaldirektor der ILO, Gilbert Houngbo, äußerte sich dazu am diesjährigen Welttag gegen Kinderarbeit: “Kinderarbeit gibt es nur seltenst weil Eltern schlecht in ihrer Rolle sind, oder sich nicht um ihre Kinder sorgen. Vielmehr rührt sie von einem Mangel an sozialer Gerechtigkeit.” Geeignete Lösungen seien für ihn solche, die die Wurzel des Problems anpacken und es schmälern. Familien in größter Armut ist nicht geholfen durch ein Verbot von Kinderarbeit, sondern durch sozial gerechte Systeme, die Eltern nicht die Entscheidung treffen lassen müssen, die Bildung und Kindheit ihrer Kinder für winzig ausbezahlte Überlebenschancen einzutauschen.
Die Organsation Compassion International stellt auf YouTube vier große Ansatzpunkte vor, deren Inangriffnahme bzw. Umsetzung die die Basis für den Kampf gegen Kinderarbeit bilden sollen:
1. Gesetzgebung: Es brauche eine bestimmtere Haltung des Gesetzes gegen Kinderarbeit. Je nach Land bedeutet das, dass bereits bestehende Gesetze angepasst und ihre Nichteinhaltung stärker sanktioniert werden muss – oder aber, dass überhaupt erst Gesetze zum Verbot der Kinderarbeit verabschiedet werden müssen.
2. Zeit und Geld: Bei Problemen solcher Reichweite helfen individualistische Ansätze nur bedingt. Deshalb ist es für die Bekämpfung und Prävention von Kinderarbeit wichtig, bereits im Feld agierende NGOs und Nonprofit-Organisationen zu unterstzützen, wenn man die Möglichkeit dazu hat. Sowohl Zeit als auch Geld sind wertvolle Ressourcen, die Organisationen maßgeblich in ihrer Arbeit unterstützen und voranbringen. Durch finanzielle Unterstützung können sie, wie im Videobeitrag aufgezeigt, beispielsweise die Schulgebühren für Kinder übernehmen, deren Familien andernfalls keine andere Alternative hätten, außer sie mit arbeiten zu lassen.
3. Bewusster Konsum: Unsere Kaufentscheidungen stehen oft in Verbindung zu industriellen Prozessen, die auf Kinderarbeit beruhen – sehr wahrscheinlich öfter, als man als Laie vermuten würde. Sich vor seinem Kauf also darüber zu informieren, wo Konsumgüter genau herkommen und wie die Umstände ihrer Produktion aussehen, ist ein wichtiger erster Schritt, um die Unterstützung des Systems auf ein Minimum zu reduzieren.
4. (Weiter-)bildung: Auch den Impact, den wir auf unsere Umwelt und Mitmenschen haben, sollte nicht unterschätzt werden. Sich selbst immer weiter dazu zu informieren,wie Kinderarbeit funktioniert und an welchen Faktoren man auch als Privatperson beteiligt ist, ist ein Schritt in die Richtung eines größeren, kollektiven Bewusstseins für die Problematik und all ihren kleinen Fäden. Genauso kann jedes Gespräch mit Mitmenschen schon einen kleinen Unterschied bewirken, und auch das aktive Ansprechen von Unternehmen, die ihre Ressourcen aus den Händen von Kindern beziehen, kann in der Häufung etwas bewirken. Wie Compassion International es treffend festhält: “Je besser wir die Problematik verstehen, desto besser sind wir darauf vorbereitet, zu handeln”.
Der wichtigste Punkt bei der Behandlung der Thematik ist es, Schüler:innen bewusst zu machen, dass es tatsächlich ein Privileg ist, überhaupt die Schule besuchen zu können. Dabei geht es natürlich nicht darum, ein schlechtes Gewissen zu predigen, sondern vor allem um die Vermittlung des Wissens darüber, dass es viele Kinder auf der Welt und in ihrem Alter gibt, deren Lebensrealität ganz anders aussieht als die eigene. Ein geeignetes Einstiegsthema dafür wären beispielsweise die geltenden Kinderrechte nach der UN-Kinderrechtskonvention. Darin verankert findet sich das Recht auf Bildung. Ihr könntet also eure Schüler:innen daran heranführen, dass manche Kinder einen ganz anderen Alltag haben, als sie selbst – weil sie nämlich arbeiten müssen. Dabei unterscheidet sie sonst gar nicht so viel von eurer Schulklasse, wozu im Klassenverband einige Ideen gesammelt werden können. Schließlich wirft man das weitere verbindende Element zwischen euren Schüler:innen und Kindern, die nicht zur Schule können oder dürfen, nämlich ihr gemeinsames Recht auf Bildung. Unterstützendes Material findet sich beispielsweise in Form von kurzen Reportagen zum Thema (z.B. von BBC oder UNICEF), womit etabliert werden kann, wie man sich arbeitende Kinder überhaupt vorstellen muss. Eine kindgerechte Einführung zur Problematik der Kinderarbeit findet sich in Videoform auf dem YouTube-Kanal von Brot für die Welt. Auch die Bundeszentrale politische Bildung (bpb) hat eine Überblicksseite zum Thema, mit der ihr gleichzeitig thematisch tiefer einsteigen und Quellenarbeit einüben lassen könnt. Solltet ihr etwas mehr Zeit zur Verfügung haben, bietet sich auch diese 25-minütige ARTE-Reportage an, die Kinderarbeit in der syrischen Ölindustrie thematisiert.
Die gesamte Thematik rund um Kinderarbeit, Armut und soziale Ungerechtigkeit ist natürlich weder leichte Kost, noch sind all diese verwobenen Probleme schnell und einfach lösbar. Mit dem gemeinsamen Besprechen im Unterricht kann aber zumindest etwas Bewusstsein dafür geschaffen werden, sodass eure Schüler:innen sich vielleicht beim nächsten Handykauf daran erinnern, wie die meisten Lithiumbatterien produziert werden, und kommen mit Freunden oder ihren Eltern darüber ins Gespräch. Welche Fäden der im Unterricht vermittelte Inhalt später spinnen wird, kann man ohnehin nie wissen – und vielleicht werden sich zukünftige Aktivist:innen einmal noch ganz genau an eure Stunde zum Thema Kinderarbeit erinnern. Und auch wenn nicht: Bildung und miteinander ins Gespräch kommen sind, wie oben bereits erwähnt, essenzielle Schritte im Kamp gegen Kinderarbeit. Lasst uns also mehr darüber reden und Schritt für Schritt darauf hinarbeiten, dass Kinder auf der ganzen Welt eine angemessene Schulbildung genießen dürfen.