Hamburger Lesehefte: Vier Lektüren, die mehr Aufmerksamkeit verdienen

Eine Frau liest ein Buch.

Lehrer-News stellt vier Hamburger Lesehefte vor, die frischen Wind in den Deutschunterricht bringen. (Foto: Canva)

“Der Sandmann. Das Öde Haus”, “Die Leiden des jungen Werther”, “Iphigenie auf Tauris” – die Titel sind lang und die Werke schon ewig Standardlektüren im Deutschunterricht. Dabei gibt es einige andere Bücher, die zu Unrecht aus dem Fokus geraten sind und deren Themen sich im Hinblick auf aktuelle Debatten wieder als besonders relevant erweisen. Lehrer News stellt vier Hamburger Lesehefte vor, die mehr Aufmerksamkeit verdienen.

Hamburger Lesehefte oder Reclam Heftchen?

Vor dem Lesen mit der Klasse stellt sich noch die Frage: Lieber den Standard-Verlag Reclam wählen oder etwas frischen Wind ins Klassenzimmer lassen und sich für die Hamburger Lesehefte entscheiden? Qualitativ muss bei keinem der Verlage ein Abstrich gemacht werden. Das Layout der Verlage unterscheidet sich allerdings. Der Reclam Verlag setzt nach wie vor auf die altbekannten kleinen gelben Heftchen. Die Hamburger Lesehefte werden im DIN-A5-Format mit einer etwas farbenfroheren Gestaltung des Covers gedruckt. Anmerkungen und Erläuterungen zu den literarischen Werken werden von beiden Verlagen mitgedruckt. Die Analyse- und Interpretationsbeispiele, mit denen der Reclam Lektüreschlüssel die Schüler:innen versorgt, werden bei den Hamburger Leseheften von den Königserläuterungen durch die Kooperation mit dem C. Bange Verlag gestellt. Das Paket Hamburger Lesehefte Plus bietet zusätzlich je nach Themenbereich ausgewählte Materialien für den Unterricht. Die Hamburger Lesehefte sind tendenziell günstiger als die Reclam Hefte. 

Ist die Frage des Verlages geklärt, kann entschieden werden, welches Werk im Unterricht behandelt werden soll.

1. “Angst” von Stefan Zweig 

(Quelle: Hamburger Lesehefte)

Eine mögliche Lektüre: Stefan Zweigs Novelle “Angst”. Das Werk ist ein psychologisches Drama, das die tiefen menschlichen Emotionen und die Auswirkungen von Schuld und Angst auf das Individuum beleuchtet. Protagonistin Irene Wagner, eine verheiratete Frau aus der Oberschicht, geht eine Affäre mit einem jungen Pianisten ein. Das Verhältnis der beiden bleibt nicht unentdeckt. Im Laufe des Werkes wird Irene von einer unbekannten Frau mit ihrer Tat konfrontiert und erpresst.

Die Handlung thematisiert die aufkommende Angst und Paranoia Irenes, die durch das ständige Gefühl des Erwischtwerdens immer weiter verstärkt wird. Ihre Angst begleitet sie ständig und beherrscht bald ihr gesamtes Leben und ihre Psyche. Sie fürchtet nicht nur die Entdeckung durch ihren Ehemann und die gesellschaftliche Schande, sondern auch die Konsequenzen ihres Handelns.

Zweig beschreibt die innere Zerrissenheit und die psychologischen Abgründe, in die Irene gerät. Ihre Versuche, sich aus der erdrückenden Situation zu befreien, scheitern, und die Spannung steigt, bis eine unerwartete Wendung am Ende der Geschichte Irene schließlich mit ihren Ängsten und Schuldgefühlen konfrontiert.

Der Deutschlandfunk hat die Geschichte in einem Hörspiel adaptiert und diskutiert zusätzlich die Aktualität der Novelle in diesem Artikel. Damit öffnen sie einen Dialog über die noch immer herrschenden gesellschaftlichen Umstände. Wie hätte sich die Angst der Protagonistin in der heutigen Zeit vielleicht anders entwickelt? Was hätte sie trotzdem oder überhaupt nicht fürchten müssen?

2. “Jugend ohne Gott” von Ödön von Horváth

(Quelle: Hamburger Lesehefte)

Zu Zeiten des Nationalsozialismus stand “Jugend ohne Gott” wegen seiner pazifistischen Tendenzen noch auf der “Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums”. Ödön von Horváths Roman aus dem Jahr 1937 spielt in einer dystopischen Zukunft, die von gesellschaftlichen und politischen Spannungen geprägt ist, die Parallelen zur damaligen Zeit in Deutschland aufweisen.

Die Handlung dreht sich um einen Lehrer, der an eine Schule versetzt und mit einer Gruppe von Schüler:innen konfrontiert wird, die von nationalistischer Propaganda beeinflusst sind. Die Schüler:innen sind Teil einer paramilitärischen Jugendorganisation, die sich streng an Ideologien und Hierarchien orientiert.

Der Lehrer ist mit dem Dilemma konfrontiert, seine moralischen Überzeugungen zu bewahren und gleichzeitig in dieser Umgebung zu überleben. Er wird mit den Unmenschlichkeiten und der Grausamkeit konfrontiert, die durch die Ideologien der Jugendgruppe ausgeübt werden.

"Jugend ohne Gott" ist eine kritische Betrachtung von Faschismus, Totalitarismus und dem Verlust moralischer Werte in einer von Ideologien geprägten Gesellschaft. Das Werk lässt sich auf Themen wie Machtmissbrauch, Manipulation und ideologische Indoktrination untersuchen. Der Roman bietet eine reflektierende Perspektive auf die politischen und moralischen Fragen, die durch totalitäre Regime aufgeworfen werden und eine Möglichkeit, die im Buch dargestellten Problematiken auf Parallelen zu politischen Entwicklungen der heutigen Zeit zu untersuchen.

3. “Der Verschollene” von Franz Kafka

(Quelle: Hamburger Lesehefte)

Zumindest von Franz Kafkas “Die Verwandlung” haben alle schon einmal etwas gehört. Das Werk “Der Verschollene” steht zu Unrecht im Schatten seines Vorgängers. "Der Verschollene" (auch bekannt als "Amerika") ist ein unvollendeter Roman von Kafka. Er handelt von Karl Roßmann, einem jungen Mann aus Europa, der nach Amerika geschickt wird, nachdem er ein uneheliches Kind gezeugt und somit einen Skandal verursacht hat.

In Amerika angekommen, erlebt Karl Roßmann eine Reihe von Abenteuern und Begegnungen in einer fremden und oft rätselhaften Welt. Er gerät schnell in verschiedene Arbeitsverhältnisse und soziale Situationen, die oft von Hierarchien, Macht und Unterdrückung geprägt sind. Dabei wird er mit der Sinnlosigkeit und Absurdität des Lebens konfrontiert.

Der Roman thematisiert Kafkas typische Motive wie Isolation, Entfremdung, und die Unmöglichkeit, in einer entfremdeten Gesellschaft einen Platz zu finden. Karl Roßmann versucht verzweifelt, sich in der neuen Welt zurechtzufinden und seine Unschuld zu bewahren, wird jedoch immer wieder von unerklärlichen und oft ungerechten Ereignissen überrascht.

Kafka beschreibt in "Der Verschollene" nicht nur die physische Reise von Karl nach Amerika, sondern auch seine innere Reise der Selbstfindung und des Erwachsenseins und ist deswegen eine Lektüre und Reflexion in der Klasse wert.

4. “Des Lebens Überfluss” von Ludwig Tieck

(Quelle: Hamburger Lesehefte)

"Des Lebens Überfluss" ist eine Novelle von Ludwig Tieck, die von einem reichen und verwöhnten jungen Mann namens Viktor handelt. Sein Leben führt er sorglos und verschwenderisch, seine Zeit verbringt er mit Luxus und Vergnügen, ohne sich um die Konsequenzen oder um andere Menschen zu kümmern.

Verantwortung oder moralische Prinzipien interessieren den Protagonisten ebenso wenig, durch seinen Reichtum kann er sich vor den Herausforderungen des Lebens verstecken und die Realitäten der Welt ignorieren.

Die Novelle kann als eine kritische Auseinandersetzung mit der moralischen Verkommenheit und dem Niedergang einer Gesellschaftsschicht gelesen werden, die von Materialismus und hedonistischem Lebensstil geprägt ist. Tieck stellt die Frage nach dem wahren Wert des Lebens und der Bedeutung von Werten wie Mitgefühl, Verantwortung und echter menschlicher Verbundenheit.

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