Lehrerinnengesundheit im Interview: “Es wird dir keiner erlauben, dich krankzumelden.”

Josefine verteilt nicht die Erlaubnis, sich krankzumelden, sondern den Mut dazu, die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen. (Quelle: privat)

Josefine verteilt nicht die Erlaubnis, sich krankzumelden, sondern den Mut dazu, die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen. (Quelle: privat)

Der Schulalltag ist stressig, die eigene Energie am Ende. Und dann plagt einen noch das schlechte Gewissen, wenn man sich doch eigentlich besser krankmelden sollte, aber die Klasse und die Kolleg:innen nicht hängen lassen will. Josefine ist Lehrerin, Selbstfürsorge Coach und Mentorin. Auf ihrem (gleichnamigen) Instagram-Profil gibt sie Tipps und Anregungen rund um das Thema Lehrerinnengesundheit und wird so zur Mutmacherin. Im Interview erklärt sie, welchen Unterschied sie zwischen Lehrern und Lehrerinnen im Berufsalltag wahrnimmt, weshalb auch Lehrerinnen eine:n Andiehandnehmer:in gebrauchen können – und wieso ein Kaffeetrinken mit dem eigenen schlechten Gewissen durchaus erkenntnisreich sein kann.

Lehrer-News: Warum richtest du dich mit deinem Instagram-Account Lehrerinnengesundheit speziell an Frauen?

Josefine: Ich bin seit ein paar Jahren als Coach tätig und hatte zunehmend das Gefühl, auch aufgrund der Frauen, mit denen ich gearbeitet habe, dass im Lehrerbereich einfach sehr viel Nachfrage und der Bedarf da ist. Und ich meine, ich sehe es selbst, ich bin Lehrerin. Viele Lehrerinnen brennen mit typisch weiblichen Glaubenssätzen in diesem Schulsystem aus, wie “Mögen mich alle? Bin ich gut genug? Was kann ich tun, damit ich anerkannt werde?” Weil Lehrerinnen mit vielen Menschen arbeiten, spielt das im Schulbereich eine besonders große Rolle. Da ist die Arbeit mit der Schülerschaft, für die ich immer die tollsten Arbeitsblätter machen will, damit sie mich mag und sie motiviert ist. Dann gibt es die Eltern, denen ich es auch unbedingt recht machen möchte, weil ich keine Konflikte will. Und dann kann es den Schulleiter geben, von dem ich mich bewertet fühle, auch wenn er das vielleicht gar nicht macht. Aber ich kenne das unter Beobachtung stehen vielleicht noch aus dem Referendariat und habe ohnehin das Gefühl, alles bewertet mich (auch als Frau).

Deswegen geht es bei meinem Account nicht um Lehrer:innen-Gesundheit, sondern wirklich um Lehrerinnen-Gesundheit. Denn Lehrerinnen sagen irgendwann zum Beispiel durch die Mehrfachbelastung mit doch immer noch oft Haushalt, manchmal Kindern oder zu pflegenden Eltern, was immer noch hauptsächlich auf Frauen lastet: “Boah, ich bin eigentlich auch noch Lehrerin. Und es steht mir irgendwo, also entweder bis hier oder schon weit drüber.”

Lehrer-News: Gibt es im Berufsalltag Momente, in denen der Unterschied zwischen Lehrern und Lehrerinnen besonders deutlich wird?

Josefine: In meinem eigenen Schulalltag habe ich immer wieder gestaunt, mit welcher Leichtigkeit Lehrer sagten: “Mein Handy ist jetzt halt aus.” Für sie ist dann total klar, ihre Arbeitszeit ist zu Ende. Währenddessen fahren viele Frauen im Gedankenkarussell weiter und überlegen über Stunden: “Hätte ich den Eltern am Telefon etwas anders sagen können? Was hätte ich noch anbieten können?” 

Für mich sind ein besonders gutes Beispiel Klassenlehrer der fünften Klasse: Die Frauen waren alle in der letzten Woche der Sommerferien schon da. Sie haben ihren Klassenraum mit Handlettering geschmückt, Willkommensgeschenke personalisiert und die Männer so: “Hm, ich kann halt nicht basteln.” So etwas höre ich oft: “Ich bin doch ein Mann, ich kann nicht multitasken.” Obwohl heute klar ist, dass das keiner wirklich kann, bis auf ein bis zwei Prozent der Weltbevölkerung. Das sind Glaubenssätze, aber total schützende Glaubenssätze. Dann heißt es aber, die Frauen können das, dabei können wir das nicht. Es wird uns nur zugeschrieben. Das bedeutet im Endeffekt immer die Möglichkeit, dass uns mehr Arbeit aufgehalst wird – mehr unbezahlte Arbeit, die immer noch besonders auf Frauen zurückfällt.

Lehrer-News: Was bedeutet für dich Lehrerinnengesundheit?

Josefine: Lehrerinnengesundheit bedeutet, sich selbst in den Fokus zu rücken. Das Wahrnehmen der eigenen Grenzen, das Priorisieren der eigenen Bedürfnisse und zu verstehen, dass wenn ich mich um andere kümmern will, ich mich wirklich erst um mich kümmern muss, damit ich das andere überhaupt auf Dauer kann. Ich glaube, hinter vielen Entscheidungen steht, die Bedürfnisse der anderen vor die eigenen zu stellen. So machen einige Lehrerinnen keine Pause, weil Eltern schon da sind, oder weil die Schüler etwas haben.

Lehrerinnengesundheit beginnt damit, den Fokus auf sich zu lenken. Nicht nur auf die eigene Hülle, auch auf das Innere. Viele trauen sich da nicht dran, weil sie denken, sie dürften nie den Anschein machen, als würde es ihnen mental nicht gut gehen. Das ist immer noch nicht nur verpönt, sondern auch ein strukturelles Problem bei Beamten. Als Referendarin oder Studentin kann man keine Psychotherapie machen, ohne zu fürchten, deswegen nicht verbeamtet zu werden.

Lehrer-News: Gab es in deiner Laufbahn Ereignisse, die dir bewusst gemacht haben, wie sehr Gesundheit im Lehrerinnen-Alltag untergeht?

Josefine: Definitiv. Natürlich sehe ich das immer wieder bei anderen, aber ich habe es selbst auch ganz klar bei mir gesehen. Gerade im Referendariat, aber auch die ein, zwei Jahre danach lag mein Fokus schon sehr, sehr stark auf der Schule. Was häufig fehlt, ist den eigenen Körper als ein Ding zu erkennen, das keine unendlichen Kräfte hat. Das kann im ersten Moment eine unangenehme Erkenntnis sein.

Ich habe selbst eine sehr heftige chronisch-entzündliche Darmerkrankung, die zum Teil echt schlimm verlaufen ist. Das war eine wichtige Erkenntnis für mich: Nicht mit dem Kopf durch die Wand zu gehen und so zu tun, als wäre nichts, sondern zu erkennen, die Erkrankung ist da und sie ist eventuell da, weil ich mich im Referendariat und in den ersten Jahren in meinem Job wirklich überanstrengt habe, und zwar dauerhaft.

Lehrer-News: Viele Lehrerinnen haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich krankmelden, weil sie niemanden hängen lassen wollen. Woher denkst du, kommt das?

Josefine: Ich lese das auf Instagram häufig in meinen Privat-Nachrichten. Nach einem Post von mir, in dem es um das Krankmelden ging, las ich immer wieder: “Danke, dass du das aussprichst. Jetzt traue ich mich eher, morgen mal zu Hause zu bleiben.” Dahinter steht wieder, die eigenen Bedürfnisse nicht vor Augen zu haben. Und zweitens nach jemandem im Außen zu suchen, der mir die Erlaubnis erteilt für etwas, das ich eigentlich körperlich spüre, nämlich, dass ich mich nicht fit fühle.

Es wird dir keiner erlauben, dich krankzumelden, niemand. Das heißt, du musst endlich so erwachsenwerden, dass du dir selbst diese Erlaubnis erteilen kannst. Und das auch, wenn noch ein Rest schlechtes Gewissen da ist, was durchaus verständlich ist. Aber dann geh mit diesem schlechten Gewissen doch mal Kaffee trinken und schreib dir im Zweifel diesen Dialog auf. Was sagt dir dein schlechtes Gewissen? Ist es: “Jetzt bin ich nicht da und meine Schüler schreiben bald die Arbeit.” Oder: “Ich lasse meine Kollegin jetzt hängen.” Bis dann kommt: “Ich bin aber krank. Es geht mir schlecht.” Das ist Begründung genug an sich.

Lehrer-News: Was rätst du Lehrerinnen, die sich von dem schlechten Gewissen trotzdem nicht lösen können?

Josefine: Das kann ich verstehen, weil da oft viele Komponenten mit hineinspielen. Ich kann da immer wieder nur raten, sich Hilfe zu suchen. Das kann der Austausch mit einer Kollegin oder einer Freundin sein, aber dafür sind auch Coaches da. Die können für sehr konkrete Hilfe sorgen und dann im Endeffekt für Erleichterung.

Lehrer-News: Wo müssen strukturelle Änderungen ansetzen, damit der Schulalltag der Lehrerinnengesundheit weniger schadet?

Josefine: Ich glaube, wir sind uns einig, dass im ganzen Schulsystem strukturelle Änderungen dringend an der Zeit sind. Ich meine, es gab das Gerichtsurteil zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung, die aber nicht für Lehrer gilt (Lehrer-News berichtete). Es sind viel, viel mehr außerunterrichtliche Aufgaben dazugekommen, die nirgendwo aufgeführt werden. Da muss die Kultusministerkonferenz aus meiner Sicht dringend etwas ändern.

Und ich glaube, dass es im Referendariat ganz dringend Reformbedarf gibt. Ich habe viel mit Referendarinnen zu tun. Für sie ist es natürlich deutlich schwieriger, eigene Grenzen zu ziehen, weil sie noch viel jünger sind. Und sie denken, sie können jetzt endlich das machen, was sie machen wollen: Lehrerin sein. Der Alltag sieht dann aber gar nicht so aus, wie sie sich das vorstellen. Sich gegen Aufgaben zu stellen oder mal was zu sagen, wird gestoppt von der Sorge, es könnte Ärger mit den Fachleitungen geben. Fachleitungen und die, die sie einstellen, sollten eine gewisse Fortbildung im Persönlichkeitsbereich nachweisen müssen. Ich glaube, da sitzen ganz viele, die diesen Aufstiegsweg gegangen sind, weil sie nicht so gerne unterrichten und vielleicht auch ein ziemlich verkorkstes Bild vom Menschen haben. Die sind fertig mit ihrer Ausbildung, sind vierzig oder fünfzig Jahre alt und fühlen sich persönlich beleidigt in den merkwürdigsten Situationen, was sie dann durch ihre Machtposition an Referendaren auslassen und Druck erzeugen können.

Lehrer-News: Was sind deine Top-Tipps für Lehrer- und Referendarinnen, die im stressigen Schulalltag zwischendurch helfen?

Josefine: Für mich fängt alles mit dem Atem und dem Sich-Selbst-Wahrnehmen an. Da ist die Atmung total hilfreich, weil wir sie immer dabei haben. Um mehr Bewusstheit in den Alltag zu bringen und um frühzeitig zu erkennen, wenn etwas zu viel ist, kann durchatmen helfen, sobald die Klasse aus dem Raum ist. Dabei kann ich mir die Hand aufs Herz legen, um zu merken, wie es mir geht und wie anstrengend das war, was ich bis jetzt schon gemacht habe. Oder ich entscheide mich, im Klassenraum alleine zu bleiben, um mal ein paar Minuten ganz ohne Input zu sein.

Es gibt außerdem das schöne Akronym WAIT: Why Am I Talking? Wir Lehrer reden wahnsinnig viel im Schulalltag und da hilft es sich zu fragen, ob ich im Unterricht viel reden, und dann noch in der Pause zu allem meinen Senf geben muss, oder, ob ich mir nicht eine Übung für die Schüler ausdenke, bei der ich mich zurücklehne und mal nur zuhöre.

Was ich auch als sehr hilfreich empfinde, und am Anfang jeder Stunde mit meinen Kursen mache, sind Klassenachtsamkeitsübungen. Es macht total viel aus, am Anfang einer Stunde für Ruhe zu sorgen. Die Schüler empfinden das als sehr positiv und ich auch, weil es ein paar Minuten entweder leise oder lustig, aber auf jeden Fall noch nicht das Fach ist, was ich jetzt unterrichte – und immer erstmal ein kurzes Ankommen. 

Lehrer-News: Liegt dir ein Tipp am Herzen, der keine leichte Kost für zwischendurch ist?

Josefine: Ich glaube, dass sich zu viele Lehrerinnen mit einem unzufriedenstellenden Zustand zufriedengeben. Und ich glaube, dass Lehrerinnen miteinander und nicht gegeneinander viel mehr daran ändern könnten. Vielleicht nicht im großen System, aber immer wieder für ihre Situation an ihrer Schule, im Gespräch mit Kollegen oder Schulleitern. Deswegen mein Tipp: Gib dich nicht zufrieden, ändere den Zustand, wenn er für dich nicht gesund und nicht gut auszuhalten ist. Und mach dich nicht immer so klein. 

Lehrer-News: Vielen Dank für das Gespräch!

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