Berlin. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Deutsche Lehrerverband fordern jetzt von der Politik, bei anstehenden Sparmaßnahmen, nicht die Zukunft der Bildung in Deutschland aufs Spiel zu setzen. Hintergrund ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches die Bundesregierung in eine Haushaltskrise gestürzt hat, deren Ausmaß noch nicht absehbar ist. Der Bundesregierung stehen durch das Urteil 60 Milliarden Euro nicht mehr zur Verfügung, die ursprünglich für den Klima- und Transformationsfonds vorgesehen waren. Auf dem Papier ist der Bildungsbereich nicht direkt von dem Urteil aus Karlsruhe und der kassierten Finanzierungsstrategie der Bundesregierung betroffen. Doch es scheint unausweichlich, dass das Haushaltsloch auch weitere Haushaltsbereiche betreffen wird. Entsprechend groß ist die Verunsicherung bei den Menschen des Bildungssektors. Die GEW sieht gleich mehrere Vorhaben des Bundes in Gefahr. Dazu gehören etwa das Startchancen-Programm, der Digitalpakt Schule, das Programm Qualität im Ganztag und die geplante BAföG-Reform, sagte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern gegenüber Lehrer News. Und auch die Kindergrundsicherung sei ein wichtiger Baustein zur Verbesserung der Bildungs- und Teilhabechancen für arme Kinder und Jugendliche, der in Frage stehen würde, so Finnern.
Auch Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, erklärte im Gespräch mit Lehrer News, dass er unter anderem die Zukunft des Digitalpakts gefährdet sehe. “Obwohl der Digitalpakt Schule im kommenden Frühjahr ausläuft, ist die Anschlussfinanzierung durch einen Digitalpakt 2.0 in den Verhandlungen von Bund und Ländern noch nicht gesichert – dabei aber dringend notwendig. In der aktuellen Haushaltslage könnte es daher noch schwieriger sein als ohnehin schon, dort zu einer Einigung und Anschlussfinanzierung zu kommen.” Der Lehrerverbandspräsident bringt dazu noch ein weiteres Thema in die Debatte ein: Schulsanierungen. Nach Zahlen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) besteht hier aktuell ein Sanierungsstau von rund 50 Milliarden Euro. Laut Düll könnten es sich die Kommunen nicht leisten, hier komplett einzuspringen. Vom Bund ist hier bisher ein Zuschuss von 3,5 Milliarden Euro geplant, der jetzt ebenfalls in Frage stehen könnte. Allerdings sei die Summe sowieso schon “nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein”, so Düll.
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat in Folge der Haushaltskrise angekündigt, bei den Sozialausgaben sparen zu wollen. Davon könnten beispielsweise Integrationsprojekte und Sprachkurse betroffen sein. Die außerordentliche Tragweite möglicher Sparmaßnahmen der Regierungen zeigt sich hier besonders deutlich. Stefan Düll zeigt auf, wie solche Investitionen sich indirekt wieder auf Kinder und Jugendliche auswirken könnten. “Die Integration ihrer Familienmitglieder hilft auch Kindern und Jugendlichen bei ihrem Spracherwerb und in ihrer Bildungsbiographie. Kürzungen in diesem Bereich sparen auch an falscher Stelle.”
Die GEW und der Deutsche Lehrerverband sind sich einig, dass es im Bildungsbereich kein Einsparpotenzial gibt – stattdessen sogar deutlich mehr investiert werden müsste. Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern fordert deshalb, dass perspektivisch Investitionen in Bildung auch jenseits einer Schuldenbremse ermöglicht werden müssten. Die GEW schlägt hier ein alternatives Steuerkonzept vor, wonach zum Beispiel Spitzenverdiener:innen stärker in die Pflicht genommen werden sollten. Lehrerverbandspräsident Stefan Düll stellt die Bedeutung der Bildung für die Gesellschaft bei der Diskussion über die Investitionsverteilung heraus: “Stattdessen müssen alle politischen Ebenen [sich bei] Haushaltsentscheidungen am Schul- und Bildungswesen als eine der wertvollsten Einrichtungen in unserem Land orientieren. Der Rohstoff Geist ist so wertvoll wie CO 2 -freie Energie und mindestens so entscheidend für eine lebenswerte Zukunft. Wer Bildung sät, wird sozialen Frieden, Wohlstand und Sicherheit ernten.”
Der Deutsche Lehrerverband fordert ein deutliches Investitions-Plus im Bildungsbereich. Konkret geht es dabei um eine Summe von 200 Milliarden Euro, für die Bund und Länder zusammenlegen sollen. Das Geld könne laut Düll in alle Bereiche fließen: “Die Vernachlässigung des Schulbereichs in den vergangenen Jahrzehnten muss aufgefangen und in die Bewältigung der anstehenden Herausforderungen muss investiert werden: Lehrkräftemangel, Sprachdefizite der Lernenden, Schulsanierungsstau, Digitalisierungsunterbrechung, Zunahme der Schulabbruchsquote, Radikalisierung der Gesellschaft. Es geht um Bildungsgerechtigkeit und Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen.”
Wie die Bundesregierung das Finanzloch stopfen will, ist weiter unklar. Bundesfinanzminister Lindner hat zwar bereits einige Andeutungen gemacht, aber genaue Einsparbereiche hat er bisher offen gelassen. Dass jetzt versucht wird, die Schuldenbremse für 2023 noch rückwirkend auszusetzen, zeigt jedoch, wie groß der finanzielle Druck auf die Regierung ist. Um Sparmaßnahmen wird sie aber nicht umher kommen. Diese dürften in erster Linie Klimaschutzbereiche betreffen, für die das umgewidmete Sondervermögen vorgesehen war – dazu gehört etwa die Energiepreisbremse, die schon zum Ende des Jahres auslaufen soll, anstatt wie geplant im Frühjahr 2024. Aber die Befürchtungen von GEW und Deutschen Lehrerverband zeigen, dass die Folgen durchaus größer sein könnten.