Floridas Governour Ron DeSantis setzte im US-Bundesstaat das “Don´t say gay”-Gesetz durch, was massiven Einfluss auf die Schulen im Staat hat. (Quelle: Wikimedia)
Immer wieder versuchen Regierungen ihre Ideologien in der Gesellschaft zu verankern, indem sie ihre Theorien und Meinungen im Bildungssystem platzieren. In Autokratien ist diese Praxis erwartbar und weithin bekannt. Exemplarisch lässt sich hier Nordkorea nennen. Hier ist der Unterricht in großen Teilen darauf ausgelegt, dass die Schüler:innen die Staats-Propaganda verinnerlichen. Aber auch in westlichen Ländern mit demokratischen Verfassungen gibt es immer wieder Fälle, in denen Regierungen massiv in den Lehrplan eingreifen, um ihre Meinungen in der Gesellschaft zu manifestieren. Bei aktuellen Beispielen geht es häufig um Eingriffe in den Sexualkundeunterricht. Wie sehen die aktuellen globalen Entwicklungen aus und ist es denkbar, dass auch in Deutschland extreme Meinungen in den Unterricht einfließen könnten? Das klären wir in diesem Artikel.
Das derzeit meist diskutierte Beispiel für den ideologischen Eingriff ins Bildungssystem in westlichen Ländern kommt aus den USA. Die Regierung des Bundesstaats Florida hat dort vergangenes Jahr das “Don´t say gay”-Gesetz auf den Weg gebracht und das hat jetzt Auswirkungen auf den Unterricht im Staat. Das Gesetz bedeutet im Kern, dass sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten bis zur zwölften Klassenstufe nicht mehr im Unterricht thematisiert werden dürfen. Das führt zu absurd anmutenden Folgen für Schulen in Florida. Etwa im Schulbezirk Hillsborough County dürfen Schüler:innen nur noch Teile des Werks von William Shakespeare lesen. Die Verantwortlichen begründen diese Entscheidung unter anderem damit, dass in mehreren Shakespeare-Stücken anzügliche Wortspiele verwendet werden würden und es Anspielungen gebe, die darauf hindeuten würden, dass die Protagonist:innen Romeo und Julia vorehelichen Sex hätten. Laut einer Liste des Bildungsministeriums des Bundesstaates, haben die Schulbezirke Floridas im vergangenen Schuljahr etwa 300 Bücher aus den Regalen der Bibliotheken entfernt. Grund dafür waren etwa 1200 Einwände durch Eltern der Schüler:innen oder anderer Einwohner:innen Floridas. Die entfernten Bücher hätten in verschiedener Weise queere Inhalte vermittelt, so die Begründungen zu den Einwänden. Auch in anderen Staaten der USA hat die Politik Einfluss auf den Unterricht. Laut einer 2022 erstellten repräsentativen Umfrage spüren 48% der Schulleiter:innen und 40% der Lehrkräfte einen politischen Druck in ihrer Arbeit.
Aber nicht nur in den USA fließen ideologische Ansätze in den Unterricht ein. In unserem Nachbarland Polen hat die PiS-Regierung über Jahre hinweg ebenfalls die Lehrinhalte so geändert, dass die Lehrkräfte ihren Schüler:innen etwa patriotische Grundgedanken näher bringen mussten. Und auch in Polen war die Sexualbildung stark eingeschränkt. Aufklärungs-Organisationen konnten ihre Arbeit an den Schulen nicht frei weiterführen. Die patriotischen Prinzipien, die im Unterricht unter der PiS-Partei in den vergangenen Jahren verstärkt vermittelt werden sollten, zeigten sich auch im Umgang mit einem Partner-Projekt zwischen Deutschland und Polen. Ein gemeinsames Geschichtsbuch sollte die Perspektiven beider Länder auf den zweiten Weltkrieg für die Schüler:innen in beiden Ländern mehrperspektivisch erlebbar machen. Doch Polen hat der vierten Auflage des Buches nie zugestimmt und das Projekt steht damit vor dem Aus. In Deutschland war die vierte Auflage in allen Bundesländern, bis auf Bayern zugelassen. Durch einen möglichen bevorstehenden Regierungswechsel könnte sich der Unterricht in Polen wieder ändern. Die mögliche neue Regierung will eine Abkehr von der Bildungslinie ihres Vorgängers .
Im EU-Land Ungarn baut die Regierung ihren Einfluss auf das Schulsystem noch umfassender aus. Dort hatten tausende Lehrkräfte letztlich ohne Erfolg gegen die geplanten Schulreformen von Präsident Viktor Orbán protestiert. Wenn 2024 dort das neue Bildungsgesetz in Kraft treten wird, werden Klassenzimmer überwacht werden dürfen. Die maximale Arbeitszeit von Lehrkräften pro Woche wird von 32 auf 48 Wochenstunden erhöht. Und Kündigungen und Versetzungen werden einfacher. All das erhöht den Druck auf Lehrkräfte, die patriotische und ideologische Linie der Regierung mitzugehen, weil sie sonst Konsequenzen fürchten müssen.
An den Beispielen zeigt sich recht eindrücklich, dass Staaten bis heute versuchen, durch Eingriffe ins Bildungssystem ihre Prinzipien und gewünschten Denkweisen im Volk zu manifestieren. Schüler:innen sind dabei das vielleicht schwächste Glied in der gesellschaftlichen Kette. Durch die Schulpflicht müssen sie dem Unterricht folgen und sei er noch so meinungs-gefärbt. Gleichzeitig gelten Kinder und Jugendliche in ihrer Weltanschauung noch als weniger gefestigt und sind in der Regel leichter beeinflussbar.
Schaut man sich die Verfassung der deutschen Bundesrepublik an, wird schnell klar, dass diese Frage nicht ganz einfach zu beantworten ist. Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt die Situation, wie folgt:
“Bildung gilt in Deutschland gemeinhin als ein öffentliches Gut, für das der Staat nach Artikel 7, Abs. 1 des Grundgesetzes die Gesamtverantwortung trägt. Das Schul- und Bildungswesen ist somit kein staatsfreier Raum, den man dem freien Spiel des Marktes überlassen könnte. Das Bildungswesen wird deshalb auch ganz überwiegend von den Steuerzahlern finanziert. Der Gemeinwohlbezug von Bildung verpflichtet den Staat zur Bereitstellung eines leistungsfähigen Bildungssystems.
Daraus ergeben sich Konflikte. Der Staat darf und soll ins Bildungswesen eingreifen, allerdings steht der Gemeinwohlbezug und die Pflicht zur Bereitstellung eines leistungsfähigen Bildungssystems an erster Stelle. Diese Vorgabe gibt dem Staat Spielraum in der Ausgestaltung des Bildungssystems - allerdings nur in begrenztem Maße. Bildungspolitik entsteht deshalb in einem ständigen Aushandlungsprozess und ist dadurch auch ein sehr wichtiges Thema auf bundespolitischer Ebene. Wichtigster Akteur im deutschen Bildungswesen ist der Staat selbst: Er bietet und trägt Schulen. Und er ist zuständig für die politische Gesamtsteuerung und die Ausarbeitung eines Rahmens für das deutsche Bildungswesen. Der “wichtigste Akteur” des Systems ist aber gleichzeitig häufig zwangsläufig nur Zuschauer bei der Gestaltung des Bildungswesens in den Bundesländern.
Verfassungsgemäß ist nämlich der Bildungsföderalismus in Deutschland fest verankert. Der sorgt dafür, dass die Bundesländer ihr Schulwesen im Rahmen der Vorgaben durch den Bund eigenverantwortlich gestalten können. Der Bildungsförderalismus soll in seiner Grundidee dafür sorgen, dass ein sich gegenseitiger befruchtender Wettbewerb zwischen den Ländern stattfindet, in der Realität steht das System allerdings häufig in der Kritik, weil es unter anderem für Chancenungleichheiten sorgen soll. Bei der Ausgestaltung der länderspezifischen Bildungslandschaft wirken mehrere Faktoren zusammen. Die bpb schreibt hierzu: “Eine wichtige Rolle spielen kulturelle Traditionen, die Ländergröße, die Wirtschafts- und Finanzkraft eines Landes sowie das parteipolitische Farbmuster der jeweils amtierenden Landesregierung.” Hier zeigt sich, dass die Ausrichtung einer Landesregierung durchaus Einfluss auf die Bildungsgestaltung im Land haben kann. Demnach wären auch deutsche Schüler:innen nicht davor geschützt, dass ideologische Elemente in den Unterricht Eingang finden, wenn dies eine Landesregierung durchsetzt. Die Einführung umstrittener, weil ideologisch gefärbter, Inhalte in den Unterricht, wäre für Landesregierungen allerdings nicht ganz einfach umzusetzen. Dies liegt an der Gewaltenteilung, die das Zusammenspiel zwischen Legislative und Judikative zu wichtigen, demokratie-wahrenden Teilen im Staat macht. Sollen umstrittene Inhalte in einem Bundesland eingeführt werden, würde dies durch mehrere Instanzen rechtlich geprüft werden können. Sollten dabei etwa Grundrechte verletzt werden, wäre dies ein schlagendes Argument gegen die Einführung des Inhalts. Im Falle einer Prüfung lege es an der Auslegung der Gesetzeslage, wie stark eine Landesregierung ideologischen Einfluss nehmen könnte ins Bildungswesen.
Zu der Frage, ob eine meinungsgesteuerte Einflussnahme durch die Politik ins deutsche Bildungswesen denkbar wäre, ist die Antwort nicht eindeutig. Zum einen ist sie grundsätzlich möglich, weil etwa die Landesregierungen große Freiräume bei der Gestaltung der Unterrichtsinhalte haben. Andererseits kann der Staat zum Beispiel nur sehr begrenzt Einfluss nehmen, auf die Inhalte in den Bundesländern, was die einzelnen Bildungswesen vor umfassenden Eingriffen schützt. Dazu sind die Regierungen gebunden an Gesetze, deren Durchsetzung von Gerichten sichergestellt wird.