Mentale Gesundheit im Referendariat: “Mit niemandem zu reden, ist der größte Fehler”

Von
Sören Stallmeier
|
10
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October 2023
|
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Mentale Gesundheit im Referendariat: “Mit niemandem zu reden, ist der größte Fehler”

Kostbar und auch für Referendare nicht selbstverständlich (Quelle: Pixabay)

Wenn man sich aktuelle Umfragen unter Referendaren aus Magdeburg, Berlin und Hannover durchliest, erhält man den Eindruck, dass zahlreiche Lehramtsanwärter von psychischen und zeitlichen Belastungen im Referendariat betroffen sind. Das Studium bereitet zu wenig auf Herausforderungen in der Schulpraxis vor, sei zu prüfungslastig, wenig pädagogisch und unterstütze Referendare nicht ausreichend in Form von Mentoring während der Ausbildung, lautet die Kritik. Doch die Belastungen scheinen auch im Laufe des Referendariats nicht nachzulassen. Angstzustände werden von 36 Prozent der Befragten einer nicht-repräsentativen GEW-Umfrage in Niedersachsen angegeben. Niko Engfer, Vorsitzender des Personalrats der Lehramtsanwärter:innen in Berlin, berichtete von einer Befragung unter Berliner Referendar:innen, dass über 90 Prozent im Referendariat bereits heftige Phasen von Stress durchlebt haben. Es scheint also ein Thema von großer Relevanz für angehende Lehrkräfte und den Bildungssektor zu sein.

Studie: Jeder dritte hat mit psychischen Problemen zu kämpfen 

Eine aktuelle Befragung unter Berliner Referendar:innen vermittelt ein düsteres Bild: 82 Prozent gaben an, gesundheitliche Folgeerscheinungen zu erleben, welche sie auf den Stress im Referendariat zurückführen. Zwei Drittel antworteten, nicht genug Zeit für sich, soziale Kontakte oder Hobbys zu haben. Ebenso viele erklärten, das Verhältnis von Arbeitszeit und Ruhephasen sei nicht ausgeglichen. Bei der Umfrage der GEW in Niedersachsen antworteten 84 Prozent der Befragten, dass das Studium zu wenig auf die Herausforderungen in der Praxis vorbereitet. In Magdeburg und Umgebung wurde eine Studie unter 131 Referendaren durchgeführt, um herauszufinden, inwieweit die psychische Gesundheit in Abhängigkeit der Referendariatsphase beeinträchtigt ist. Ein Ergebnis lautete, dass bei 31,3 Prozent der Magdeburger Referendare die psychische Gesundheit beeinträchtigt war, sie auch Burnout-Symptome aufwiesen. 

Wir haben für euch recherchiert, wie es um die psychische Gesundheit bei Referendar:innen steht. Außerdem haben wir bei Expert:innen nachgefragt, wie man das Wohlbefinden von angehenden Lehrkräften steigern kann, wie sie Stress reduzieren können und in einen stabilen Zustand kommen. Expertinnen, mit denen wir gesprochen haben, sind zum einen Frances Gallert, selbst Lehrerin, Yogalehrerin und Coach, die im Rahmen von “Focused Moment” und auf Instagram Tools und Techniken vermittelt, die helfen, mit den Anforderungen des Schulalltags einen leichteren Umgang zu finden. Zweitens stand uns Debby mit ihrer Expertise zur Seite. Sie ist Grundschullehrerin und bloggt auf ihrem Instagram Kanal @HalloFerien aktiv und teilt Tipps, Tricks und Strategien rund ums Thema Referendariat. Daniela von “Referendariat bestehen” hat sich ebenfalls dazu bereit erklärt, uns mit ihrer Kompetenz zum Thema zu unterstützen. Sie ist Lehrerin und Fachseminarleiterin, die bereits an allen Schulformen Erfahrungen sammeln durfte und beinahe 100 Referendaren zum bestandenen Examen verholfen hat. Daniela wies uns vor der Beantwortung der Fragen auch darauf hin, dass die Ergebnisse der GEW-Umfragen keinesfalls repräsentativ seien. Die Zeit des Referendariats kann sehr anstrengend sein. Die allermeisten der über 10.000 Follower von Daniela empfinden das Referendariat aber als sehr wertvoll, lehrreich und äußern sich ebenfalls bei nicht repräsentativen Umfragen überwiegend positiv über diese Zeit.

 

Balance finden und unnötigen Stress vermeiden, aber wie? (Quelle: Pixabay)

Tipps, Empfehlungen und Ansätze von Expertinnen um das Wohlbefinden von Referendaren zu steigern

Wie können Referendare Stress reduzieren, ihre mentale Gesundheit stärken und Resilienz ausbilden?

Frances zeigt sich überzeugt, dass Referendare selbst einiges für ihre psychische Gesundheit tun können. Es ist wichtig, einen gesunden Umgang zu finden und Stressfaktoren benennen sowie auflösen zu können. Der Stress könne durch externen Druck oder andere Glaubenssätze bedingt sein. Manchmal brauche es auch externe Hilfe in Form eines Coaches oder Therapeuten, um Stressfaktoren aufzulösen. Das Referendariat sei eine gute Möglichkeit, bereits hier zu lernen, gesunde Verhaltensweisen und einen geeigneten Umgang mit Stress zu etablieren. “Wie will man später diesen Job mit einer vollen Stelle über Jahre ausüben und gesund bleiben? Gesunde Grundlagen im Referendariat oder besser schon im Studium zu legen, erachte ich als elementar”, so Frances. Referendare müssen “dysfunktionalen Perfektionismus loslassen”, erklärt Frances. Es sei wichtiger, in die Beziehung zu den Schüler:innen zu investieren, als sich im Detail zu verlieren und nächtelang an der Erstellung des perfekten Materials zu sitzen. Es brauche eine Routine mit klaren Zeiten für Planungen und Korrekturen, außerdem auch ausreichend Zeit für sich selbst zur Erholung, um sich wieder aufzuladen. Beim Umgang mit Fehlern gelte, sich selbst zu erlauben, nicht alles perfekt machen zu müssen. Daniela rät ebenfalls ab von übertriebenem Perfektionismus und dem Gedanken, jede Stunde das Rad neu erfinden zu müssen. Stattdessen müssen Prioritäten sowohl beruflich als auch privat gesetzt werden und speziell Referendare sollten langfristig und nicht von Tag zu Tag planen. Daniela befolgt selbst ihren Tipp, Arbeits- und Freizeit klar zu definieren, indem sie nur in absoluten Ausnahmefällen am Wochenende arbeitet.

Welche hilfreichen Strategien und Ansätze helfen, eine möglichst positive Erfahrung mitzunehmen?

Eine Strategie, die helfen kann, resilienter zu werden und das Beste aus der Referendariatszeit mitzunehmen, sei zu verstehen, dass wir die Welt immer durch unsere eigene Brille sehen, es verschiedene Wahrnehmungen gibt und wir nicht immer Einfluss auf das haben, was passiert, aber immer darauf, wie wir (re)agieren. Herausforderungen sollten als Möglichkeit gesehen werden, zu wachsen, erklärt Frances. Daniela rät ihren Referendaren immer, sich klare, manchmal nur kleine Ziele zu setzen, die man dann Stück für Stück umsetzt. Man solle sich immer ein bis zwei Schwerpunkte für den nächsten Unterrichtsbesuch wählen, auf die man sich dann konzentrieren kann. So werden Fortschritte unweigerlich bewusst. “Referendare sind teilweise sehr defizitorientiert, also übe ich mit ihnen, ihre Stärken zu erkennen und diese ebenso wahrzunehmen”, berichtet Daniela. Debby wünscht sich auch, dass die positiven Aspekte des Berufs mehr hervorgehoben werden. In der Ausbildung lernt man jeden Tag hinzu und darf seine Rolle an der Schule noch finden. Der Fokus solle vom Seminar, wie auch von dem oder der Referendar:in, mehr auf die positiven Dinge gelegt werden, statt zu sehen, welche Kleinigkeiten im Unterricht schief laufen.

Welche gesundheitlichen Maßnahmen wirken konkret, Zweifel und Stress zu reduzieren und wann benötigt man professionelle Hilfe?

Meditation, Achtsamkeit oder Yoga helfen, Ruhe in unseren unruhigen Geist zu bringen und uns immer wieder in den gegenwärtigen Moment zu holen, erzählt Frances. “Manchmal sorgen wir uns über den nächsten Unterrichtsbesuch, die nächste Stunde mit einer Klasse oder ein schwieriges anstehendes Gespräch. Das sind alles Dinge, die in der Zukunft liegen.” Mentale Übungen wie Meditation oder Atemübungen helfen, aus Angstzuständen heraus zu kommen. Ausbildung von Resilienz und einer gesunden Selbstwahrnehmung sollten sicherlich Themen in der Ausbildung sein. Bei gravierenden Problemen würden die Expertinnen aber immer zu professioneller Hilfe raten. Der Grund für Burnouts liege häufig in einer generellen Belastung, die auch von Faktoren außerhalb der Arbeit bedingt ist. Debby lenkt die Aufmerksamkeit auf äußere Gegebenheiten, die junge Lehrkräfte verängstigen, sich keine offizielle Hilfe zu suchen - auch wenn diese dringend notwendig ist. “Es würde helfen, wenn Therapiesitzungen, der Besuch bei einem Psychologen oder andere Schritte hin zu einer besseren psychischen Gesundheit sich nicht auf die zukünftige Verbeamtung auswirken würden.”

Wie sieht hilfreiches Mentoring für Referendare aus?

“Den Referendar:innen helfen, den Fokus auf die wirklich wichtigen Dinge zu setzen und mithilfe verschiedener Tools und Routinen resilienter durch die letzte Ausbildungsphase zu gehen”, weiß Debby. “Das Growth Mindset stärken, den Perfektionismus runterschrauben und bei der persönlichen Entwicklung begleiten.” Debby verweist auf ihren Onlinekurs “Refi-Up - Dein Upgrade für den Start ins Referendariat”, der mit zehn Modulen unterstützen soll, durch gute Vorbereitung und Wiederholung der wichtigsten Themen entspannt und gelassen ins Referendariat zu starten.

Ist das Referendariat, sowie es ausgestaltet ist, generell als defizitär zu betrachten? 

Daniela rät, sich nicht von dem, was man so hört, einschüchtern zu lassen und immer eigene Erfahrungen zu machen, um die Zeit im Referendariat bestmöglich zu nutzen. Die große Anzahl der Referendare, die Daniela betreut, sehen die Zeit als positiv. Das Referendariat sollte genutzt werden, so viel wie möglich auszuprobieren, Feedback zu holen und dadurch zu lernen. Diese Gelegenheiten gibt es nach dem Referendariat kaum noch. Bezüglich einer Reform des Referendariats, dass es praxisorientierter, weniger prüfungslastig und verkürzt werden soll, sagt Daniela: “Es gibt auch viele Referendare, die die Zeit im Seminar, abseits der Schule sehr schätzen, um sich mit anderen auszutauschen und zum Beispiel Stunden zu planen, Methoden auszuprobieren und neuen Input zu erhalten.” Eine Verkürzung sei ja bereits in den meisten Bundesländern umgesetzt worden. Prüfungen wurden schon deutlich entschlackt. Daniela könnte sich vorstellen, dass Ausbildungszeiten flexibler gestaltet werden sollten. Weiter könnte man Veränderungen bei den Prüfungsformaten vornehmen, dass der Tag der Unterrichtspraktischen Prüfungen weniger entscheidend sein sollte. Debby genügen bisherige Reformen und die aktuelle Ausgestaltung des Referendariats bei Weitem nicht: um zeitliche und psychische Belastung im Referendaritat zu verringern, benötigt es mehr Veränderungen des Ist-Zustands. “Ich würde mir wünschen, dass die Seminaraufgaben gekürzt werden, die teilweise mit der Praxis recht wenig zu tun haben (Stichwort Hausarbeit). Stattdessen soll der Fokus mehr auf die eigentliche Kerntätigkeit im Lehrberuf gelegt werden: Das Unterrichten.” Außerdem erhofft sie sich, dass es in Zukunft ein duales Studium für Lehrkräfte geben wird. “Die Praxis sollte von Anfang an im Studium verankert sein.

An welchen Stellschrauben muss gedreht werden, um mehr Motivation und Zufriedenheit zu erreichen?

Es müsse weniger defizitorientiertes Feedback gegeben werden, ist sich Debby sicher. Der Unterricht solle jedoch nicht nur der Seminarleitung gefallen, sondern es jungen Lehrkräften erlauben, unvoreingenommen mit mehr Freiheit einen eigenen Unterrichtsstil und eine eigene Lehrerpersönlichkeit zu entwickeln.

Strahlen am Horizont für eine gesündere Zukunft als Referendar:in

Abschließend kann man bemerken, dass angehende Lehrkräfte bei Zweifeln und Stressempfinden selbst viele Hebel haben, die sie in Bewegung setzen können, um ihre mentale Gesundheit zu stärken, wie eine Persönlichkeitsentwicklung hin zu einem achtsamen Umgang mit sich selbst, einer anderen Betrachtung von Herausforderungen als Möglichkeiten zum Lernen und einer anderen Wahrnehmung von Situationen, die als stressig empfunden werden. Es gibt viele Tools wie Meditation, Yoga und Achtsamkeit, um den Geist von Sorgen zu befreien. Fehler sind kein Versagen, sondern Gelegenheit zum Wachstum und zur Verbesserung. Dysfunktionaler Perfektionismus sollte keine Rolle für Referendare wie für Lehrkräfte spielen, mit nächtelangen Unterrichtsplanungen ist niemandem geholfen. Es gilt, klare Routinen für die Arbeitszeit wie auch für die Freizeit zu finden, um den Akku auch ausreichend aufladen zu können. Referendare sollten aktiv von Schülerinnen und Schülern hilfreiches Feedback einholen, mit anderen Referendaren und Seminarleitern zusammen Unterricht vorbereiten und gemeinsam Lösungen anstreben, Probleme zu lösen. “Mit niemandem über Ängste und Zweifel zu reden, sei sicherlich der größte Fehler, den man machen kann”, hält Daniela fest. Wenn es sich jedoch um Angstzustände handelt, braucht man auch in jedem Fall professionelle Unterstützung. Es gibt jedoch auch externe Stellschrauben an denen gedreht werden muss. Referendare sollten nicht mehr Angst haben müssen, wenn sie professionelle Hilfe aufsuchen, nicht verbeamtet zu werden. Eine Expertin wünscht sich explizit, dass die Praxis von Anfang an im Studium verankert sein sollte, in Form eines dualen Angebots. Im Referendariat sollte der Fokus weniger defizitorientiert sein und mehr geschaut werden, wie eine junge Lehrkraft ihre eigene Persönlichkeit entwickeln kann.

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