Der Bildungsbericht 2024 beschreibt zum zehnten Mal die Gesamtentwicklung des deutschen Bildungswesens. (Quelle: BMBF/ Hans-Joachim Rickel)
Berlin. Am Montag wurde der zehnte “Nationale Bildungsbericht” veröffentlicht. Dieser beschreibt die Gesamtentwicklung des deutschen Bildungswesens und legt den Fokus in diesem Jahr auf die berufliche Bildung. Der von der Kultusministerkonferenz und dem Bildungsministerium geförderte Bericht wird vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation erstellt. Ein Faktor wurde dieses Jahr deutlich: Das Bildungssystem in Deutschland steht vor den Problemen fehlender Fachkräfte und unzureichender Finanzierung. Hinzu kommen starke Veränderungen durch Zuwanderung und Digitalisierung sowie eine anhaltende soziale Ungleichheit.
Soziale Bildungsungleichheiten entstehen schon in der frühkindlichen Bildung und ziehen sich durch alle Lebenssituationen junger Menschen. Gründe dafür sind die soziale Herkunft und das soziale Umfeld. Immer mehr Kinder und Jugendliche aus ärmeren und bildungsfernen Schichten erhalten keine Gymnasialempfehlung. Während rund 78 Prozent der Kinder und Jugendlichen aus privilegierten Familien mit einer Gymnasialempfehlung rechnen konnten, lag der Prozentsatz der Kinder und Jugendlichen aus sozial schwächeren Familien bei knapp 32 Prozent. Studien zeigen, dass die Schulleistungen schon in Grundschulen stagnieren und an weiterführenden Schulen weiter zurückgehen. Viele junge Menschen verlassen daher die Schule ohne einen Abschluss. Zum Vergleich: Der Anteil der Gleichaltrigen ohne Schulabschluss lag im Jahr 2020 noch bei 5,9 Prozent. Vier Jahre später stieg dieser auf 6,9 Prozent an. Auch der berufliche Weg unterscheidet sich stark von den Kindern und Jugendlichen: Knapp 78 von 100 Kindern, die aus Akademikerfamilien kommen, nehmen ein Studium auf. Währenddessen sind es bei Kindern und Jugendlichen von Eltern ohne akademischen Abschluss nur knapp 25 von 100.
Auch Aspekte wie Zuwanderung stehen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Bildungserfolgs. Migrationsforscher Thomas Bauer bestärkt die Aussage mit folgender Beobachtung: Je älter die Menschen sind, wenn sie nach Deutschland kommen, desto schlechter sind ihre Chancen auf einen Bildungserfolg. Ungefähr die Hälfte der zugewanderten Kinder und Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren haben weder einen Berufsschulabschluss noch die Hochschulreife. Personen, die bereits im Kleinkindalter zugezogen sind, werden nur ein Viertel als “gering qualifiziert” eingestuft.
Demnach wird der Ausbau einer frühkindlichen Förderung und Bildung von Bildungsforscher:innen verlangt. Die Bildungsunterschiede zwischen jungen Menschen entstehen nicht erst in der Schule, sondern deutlich früher. Kinder mit Migrationshintergrund besuchen seltener die Kindertagesbetreuung. Grund dafür könnten Kitaplätze sein, die nicht annähernd ausreichen, um den Anstieg zugewanderter Kinder gerecht zu werden. Doch gerade Menschen, die geflüchtet oder aus anderen Gründen eingewandert sind, benötigen dringend einen Kitaplatz. Besonders wichtig ist dabei das frühe Erlernen der deutschen Sprache. Fehlen die Deutschkenntnisse, können wichtige berufliche Aufgaben nicht erfüllt werden und die Gefahr, in die Arbeitslosigkeit zu rutschen, ist groß.
Ohne ausreichendes Fachpersonal können weder die Bildung noch die Digitalisierung oder anderweitige Förderungen stattfinden. Laut der Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), bleibt bis etwa 2035 der Personalmangel an Schulen jedoch stets präsent. Auch bundesweite Unterschiede werden aus dem aktuellen Bericht deutlich: In Brandenburg und Sachsen-Anhalt wurden um die 50 Prozent Seiteneinsteiger:innen eingestellt, um dem Fachkräftemangel irgendwie entgegenzuwirken. In Bayern hingegen waren es nur 1 Prozent der Lehrkräfte. Auch in Kindertagesbetreuungen fehlen bundesweit Erzieher:innen. Laut Bericht könnte sich der Personalmangel weiter verschärfen, da ab dem Jahr 2026 Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz haben. Wird auf Seiteneinsteiger:innen vermehrt zurückgegriffen, so muss eine angemessene Aus- und Weiterbildung angeboten werden, um keine weiteren Nachteile der kindlichen Bildung hervorzurufen. Zieht man zugewanderte Lehrkräfte in Betracht, müssen ihre Anträge soweit anerkannt werden, dass ein steigender Personalmangel verringert wird. Im Jahr 2022 wurden nur 14 Prozent Anträge von zugewanderten Lehrer:innen als gleichwertig anerkannt.
Die zunehmende Digitalisierung stellt eine weitere Herausforderung dar. Neben dem Angebot, digitale Medien für eine individualisierte Förderung innerhalb des Unterrichts zu nutzen, brauchen Lehrkräfte auch die entsprechende Fort- und Weiterbildung. Vorteil digitale Medien zu nutzen, wäre zum einen die Entlastung der einzelnen Lehrkräfte, zum anderen die gezielte Förderung und Vorbereitung der Kinder auf eine digitalisierte Welt. Doch auch die digitale Unterstützung von beruflichen Bildungseinrichtungen könnte wichtig werden. So wäre die Vernetzung mit Menschen auf dem Land oder an anderen Orten möglich und die Flexibilität des Bildungsangebotes wäre möglich.
Um das Bildungssystem voranzubringen, werden weitere finanzielle Mittel benötigt. Der Ausbau des Startchancen-Programms, wie Stark-Watzinger betont, soll sich gezielt mit Kindern aus benachteiligten Schichten auseinandersetzen. Der Übergang zur Ausbildung reicht demnach nicht als Förderung aus, sondern muss innerhalb der frühkindlichen Bildung bereits stattfinden. Mehr Integrationskurse und Weiterbildungen von Lehrkräften sind nötig, um den Veränderungen des Bildungssystems gerecht zu werden. Aber der Austausch über gemeinsame Ziele und Maßnahmen innerhalb der betreffenden Akteure kann auch zu einer Unterstützung und Stabilität führen.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte einen “eindringlichen Weckruf an alle Politikerinnen und Politiker”. Das Bildungssystem sei seit vielen Jahren unterfinanziert und arme Familien und Kinder sowie Bildungseinrichtungen in herausfordernden Lagen müssen intensiver unterstützt werden. “Das Startchancen-Programm ist ein guter Anfang, aber auch nicht ausreichend”; so Christian Beckmann, Vorsitzender der Landeselternkonferenz NRW. Präsident des Nordrhein-Westfälischen Lehrerverbandes Bartsch fordert “bessere Rahmenbedingungen, um mehr individuelle Förderung leisten zu können”. Man müsse sich gesellschaftlich darüber einig werden, was eigentlich die Aufgabe der Schule sei. Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger (FDP) erklärt, dass es eine “bildungspolitische Trendwende” benötige. Und weiter: “Wir brauchen einen Perspektivwechsel und Bildungsinstitutionen, die Vielfalt als Chance begreifen”.