Religionsunterricht: Grundrecht oder Privileg der Kirchen?

Der Status des Religionsunterrichts unterliegt in Deutschland klaren rechtlichen Vorgaben. Dennoch bot und bietet er immer wieder Anlass für gesellschafts- und bildungspolitische Diskussionen. Lehrer News wirft ein Schlaglicht auf die wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre.

Das Grundgesetz definiert den Status des Religionsunterricht an Schulen relativ klar:

„Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“ (Art. 7 Abs. 3 GG)

Ebenso grundgesetzlich festgeschrieben, ist der Bildungsföderalismus. Dies hat zur Folge, dass zur rechtlichen Stellung des Religionsunterrichts im Lehrplan länderspezifische Unterschiede bestehen. So heißt es beispielsweise in der rheinland-pfälzischen Verfassung noch immer: Die Schule hat „die Jugend zur Gottesfurcht … zu erziehen“. (Art. 33 Verf. RP)

Religionsunterricht abschaffen?

Bevor aktuelle Diskussionen um die praktische Organisation des Religionsunterrichts zur Sprache kommen, soll es zunächst um die Frage gehen, mit welchem Existenzzweck seine Durchführung, jenseits der „Erziehung zur Gottesfurcht“, überhaupt begründet wird. Das Verhältnis junger Menschen zu Glaube und Religion erscheint mitunter ambivalent, wie eine Studie der Uni Tübingen, die unter Azubis sowie 11. und 12. Klassen in Baden-Württemberg durchgeführt wurde, ergab. Demnach bezeichnen sich nur 22% der Befragten als religiös, aber über die Hälfte glaubt an einen Gott.

Die Landesschüler*innenvertretung Rheinland-Pfalz argumentiert 2019 in ihren Forderungen nach der Abschaffung des Religionsunterrichts, dieser sei mit der Trennung von Staat und Kirche unvereinbar. Stattdessen solle ein neues Fach geschaffen werden, in dem ein offener Austausch über ethische und religiöse Lehrinhalte stattfinden kann. Dem hielt im weiteren Verlauf der Debatte das Bistum Mainz entgegen, das Schüler:innen „erst in der Auseinandersetzung mit einem greifbaren Modell gelebter christlicher Existenz – vor allem in der Person der Lehrkraft”, eine eigene Identität und Haltung ausprägen könnten. Andere, nicht zwingendermaßen religiös motivierte Positionen sehen im bekenntnisorientierten Religionsunterricht kein Problem, solange dieser nicht verbindlich ist. Daher müsse eine Wahlmöglichkeit zwischen dem Fach Religion und säkularen Alternativen wie dem Ethikunterricht gegeben sein. Beide erfüllten aber die Funktion, einen Beitrag zur Entwicklung eines eigenen Wertesystems durch die Schüler:innen zu leisten und griffen wichtige Fragen nach dem Sinn der menschlichen Existenz auf.

Die Einführung des bekenntnisorientierten Islamunterrichts

Nachdem sich Debatten zur Gestaltung des Religionsunterrichts jahrelang auf christliche Konfessionen beschränkten, rückte spätestens seit 2011 die Unterrichtung anderer Glaubensrichtungen in den Mittelpunkt. Grund hierfür war der Beschluss des Landes Nordrhein-Westfalen, nun auch islamischen Religionsunterricht ermöglichen zu wollen: „Etwa 436.500 Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen sind muslimischen Glaubens. Diese Kinder haben ein Recht auf einen staatlich verantworteten Religionsunterricht“, erklärte das Schulministerium in Düsseldorf diesen Schritt. NRW war damit ein Vorreiter, mittlerweile wird in neun Bundesländern eine Form von Islamunterricht angeboten.

Die Einführung des Islamunterrichts in NRW war nicht nur im Zuge der Debatten um die Rolle des Islams und der Muslime in Deutschland ein mutiger Schritt. Das Land begab sich mit der Entscheidung die Pluralisierung des Religionsunterrichts voranzutreiben auf noch unbekanntes Terrain und musste den entsprechenden Gesetzestext nachjustieren. Seit 2019 definiert das Schulgesetz des Landes formal klare Kriterien, welche islamischen Organisationen zur Gestaltung des Islamunterrichts an staatlichen Schulen befugt sind. So müssen diese ihre Eigenständigkeit, staatliche Unabhängigkeit, Verfassungstreue und eine verlässliche Organisationsstruktur aufweisen. Die Kritik an der religiösen Trägern von Religionsunterricht, nicht nur muslimischer Ausrichtung, bleibt jedoch ein Thema.

Das Bild eine Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zum Religionsunterricht

Eine online durchgeführte YouGov-Umfrage aus dem Jahr 2016 zeigt, dass eine Mehrheit der Befragungs-Teilnehmer:innen dem bekenntnisorientierten Religionsunterricht kritisch bis ablehnend gegenüber steht. Quelle: YouGov

Die Rolle von Kirchen und religiösen Verbänden im Religionsunterricht

Der Status des Religionsunterricht steht, gemessen an den Positionen der Parteien im Bundestag, ebenso wenig in Frage, wie das staatliche Aufsichtsrecht darüber. Dispute entbrannten in den vergangen Jahren eher darüber, mit welchen religiösen Organisationen oder Kirchen zusammengearbeitet werden soll beziehungsweise wem es gestattet ist, Religionsunterricht zu erteilen. Letzteres beantwortet das Grundgesetz nur ungenau: “Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.“ (Art. 7 Abs. 3 GG) Faktisch erteilt die staatliche Aufsicht in den Ländern den Kirchen und Religionsverbänden die Erlaubnis, über das Personal für die Durchführung von Religionsunterricht nach eigens ausgewählten Kriterien zu bestimmen.

So wird die Missio Canonica (Beauftragung mit Lehraufgaben) nur an diejenigen katholischen Absolvent:innen des anspruchsvollen Theologiestudiums erteilt, die aktive Gemeindemitglieder sind und ihr Privatleben nach den Prinzipien der römisch-katholischen Kirche gestalten. Auch der Entzug der Lehrerlaubnis durch die katholische Kirche ist möglich. Im bekenntnisorientierten Islamunterricht sorgte vor allem die Zusammenarbeit mit einflussreichen Religionsverbänden für Kritik. Trotz der angesprochenen Gesetzesänderung ist in NRW, der vom autoritären Erdogan-Regime kontrollierte, deutsch-türkische Moscheeverband DİTİB federführend in die Auswahl der Lehrer:innen eingebunden. Ähnlich sieht es unter anderem in Niedersachsen aus, wo die Ijaza (Lehrerlaubnis), ebenso wie in NRW, durch einen von konservativ-islamischen Verbandsvertretern dominierten Beirat erteilt wird. Liberale Muslime kritisieren die Auswahlkriterien, die einen sittsam-religiösen Lebensstil zu einer von verschiedenen Bedingungen zur Erteilung der Lehrerlaubnis erklären.

Was meint ihr? ist Religionsunterricht an staatlichen Schulen in seiner derzeitigen Form noch zeitgemäß? Gibt es in Zeiten des chronischen Lehrermangels überhaupt umsetzbare Alternativen zur Einbindung von Kirchen und Religionsverbänden? Wir freuen uns auf eure Meinung!

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