Je nach Bundesland können Schüler:innen sitzen bleiben oder ins nächste Schuljahr versetzt werden. Die Bundesländer haben unterschiedliche Regelungen, ob Lernende generell sitzenbleiben können oder nicht. Wie sinnvoll ist das System “Sitzenbleiben” heute noch?
Mit der Schulreform 2008/2009 wurde das “automatisierte Sitzenbleiben” in Hamburg ganz abgeschafft. Schüler:innen müssen am schulinternen Nachhilfeunterricht teilnehmen, um ihre Defizite abzubauen bzw. auszugleichen. An Berliner Gymnasien gibt es kein Sitzenbleiben mehr. Die Schülerinnen werden im kostenlosen Förderunterricht für alle unterstützt. Klassenwiederholungen in anderen Schulformen sind nur auf freiwilliger Basis erlaubt. In Bayern sieht man das Sitzenbleiben bis heute als wichtiges bildungspädagogisches Instrument an. Sitzenbleiben gilt dort als Ansporn, um Schüler:innen zum Lernen und Besserwerden zu motivieren.
In der Gesellschaft ist Sitzenbleiben weiterhin ein Tabuthema und wird teilweise als eine Peinlichkeit, ein "Gesichtsverlust'', einen “Weltuntergang” angesehen. In vielen Familien häufig unvorstellbar, gerade bei den eigenen Kindern. Schüler:innen, die sitzengeblieben sind, werden plötzlich anders behandelt oder mit bestimmten Vorurteilen in Verbindung gebracht. Oft macht sich für die Schüler:innen daraufhin ein Gefühl von Scham und Verunsicherung breit, sie stoßen in ihrem Umfeld auf Unverständnis und Ablehnung. Die Einstellung des Elternhauses und des sozialen Umfeldes sind in dieser Situation von elementarer Bedeutung. Verständnis für die Lage des Kindes zu entwickeln, Unterstützung anzubieten und das zu wiederholende Schuljahr als neue “Chance” anzusehen, kann helfen, die Schüler:innen auch mental positiv auf das kommende Schuljahr einzustimmen.
Elternsprechstunden und Elternabende sind Gelegenheiten, Kontakt mit den Eltern zu suchen, um die Thematik der Versetzungsgefährdung anzusprechen. Intensive Ursachenklärung von Lehrer:innen, Eltern und Schüler:innen, wo Probleme mit dem Unterrichtsfach bestehen und wie Hilfe eingebunden werden kann, ist sinnvoll. Hilfreiche Maßnahmen wie das bewusste Einbinden der Schüler:innen in den Unterricht von Seiten der Lehrer:innen sowie das Evaluieren von Aufsätzen und Mitschriften kann ein Weg sein, sich ein besseres Bild über den Leistungsstand der Schüler:in zu verschaffen. Von Elternseite kann z.B.: eine kompetente Nachhilfe gesucht werden und eine Stütze im Schuljahr helfen. Die Situation sollte jetzt ausdrücklich von Eltern- und Lehrer:innenseite offen kommuniziert und begleitet werden.
Kritiker argumentieren, dass schlechte Leistungen in bestimmten Schulfächern nicht automatisch mit einer Wiederholung des gesamten Lernstoffs ausgeglichen bzw. verbessert werden können. Es sei vielmehr angesagt, die Schüler:innen in den jeweiligen Fächern gezielt zu fördern und zu unterstützen. So entstünde ein “gleichwertiges” Leistungsniveau für die Klasse – ohne Sitzenbleiben! Es sei unnötig, Schüler:innen ein komplettes Schuljahr zurückzustellen, wenn mangelhafte Leistungen in nur einem oder zwei Fächern festgestellt wurden. Dies hätte auch eine gegenteilige Wirkung, da ein Großteil des Unterrichts für die Schüler:innen langweilig wird, was in eine Demotivation umschlagen könnte. Eine weitere Herausforderung bedeutet für die Schüler:innen auch das “Herausgerissen” werden aus dem Klassenverband und der Verlust von Freunden. Einfinden in eine neue Klassenstruktur, neue Freunde finden und neue Lehrkräfte bedeuten ebenfalls eine weitere Belastung.
Das Sitzenbleiben soll helfen, Defizite im Verständnis des Lehrstoffs auszugleichen. Die Möglichkeit, den Lernstoff zu wiederholen, soll motivieren, Leistungsbereitschaft und Leistungsniveau wieder zu stärken. Schüler:innen selbst sehen eine Wiederholung oft als Bestrafung – häufig fühlen sie sich schon schlecht, da sie sich selbst als inkompetent ansehen, den Lehrstoff nicht verstanden zu haben. Es gibt viele Ursachen für das Sitzenbleiben, daher ist es auch an den Eltern den Kontakt zu intensivieren, um mögliche Ursachen für die Lernblockade oder Lernverweigerung ihres Kindes herauszufinden. Mögliche Gründe können sein: Mobbing, familiäre Probleme, Pubertät, kein Anschluss innerhalb der Klasse, wenig Selbstwert und Selbstvertrauen. Zusätzlich können Dyskalkulie, Legasthenie , AD(H)S oder ähnliche Defizite vorliegen, die das Lernen zusätzlich erschweren.
Die Forderung nach mehr gezielten Förderangeboten steht im Raum, damit Schüler:innen nicht ihre Klasse verlassen müssen. Das Konzept sieht vor, dass die Schüler:innen speziell in ihren Problem-Fächern unterstützt werden und sie weiterhin in ihren Klassen bleiben können. Das bedeutet mehr Investitionen in Lehrkräfte, finanzielle Mittel und Enttabuisierung dieses Themas.
Nicht alle Schüler:innen profitieren von der Wiederholung des Schuljahres: Ob Mobbing in der neuen Klasse, Schwierigkeiten Anschluss zu finden oder weiterhin familiäre Probleme – es gibt viele Gründe, warum Schüler:innen keine Verbesserungen nach dem Sitzenbleiben erleben. Ob das Sitzenbleiben unumgänglich ist, muss entsprechend der Gesamtlage eines jeden Schülers individuell entschieden werden. Eine einheitliche Lösung der Bundesländer wäre daher nicht für jede:n Schüler:in gleich geeignet. “Es gibt kein Idealsystem!”
Wie steht ihr zum Thema Sitzenbleiben? Lasst es uns gerne in den Kommentaren wissen!