Vom Hörsaal in die Klasse – Bayern will Studenten gegen Lehrermangel einsetzen

Vom Hörsaal in die Klasse – Bayern will Studenten gegen Lehrermangel einsetzen

Bad Staffelstein. Um dem Lehrermangel entgegenzuwirken, sollen in Bayern zukünftig Student:innen in einem verpflichtenden Praxissemester unterrichten. Dies kündigte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder Ende Januar bei der CSU-Klausurtagung im Kloster Banz in Bad Staffelstein an. Auch die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günter-Wünsch (CDU) plant, den Masterstudiengang Lehramt ähnlich einem dualen Ausbildungssystem parallel in Uni und Schule stattfinden zu lassen. 

Die Vorhaben sind eine Reaktion auf den gravierenden Lehrermangel in Deutschland: allein im Jahr 2022 konnten laut einer Forsa-Umfrage zehn Prozent der Stellen nicht besetzt werden, darunter 250 in Bayern. Seit einiger Zeit kommen deshalb immer häufiger auch Quereinsteiger zum Einsatz, doch auch diese können die Lücken nicht mehr schließen. Um dies zu erreichen, sollen bayerische Studierende nun früher Praxiserfahrungen sammeln. Ein Konzept, das in anderen Bundesländern bereits seit längerem Alltag ist. Vermehrt werden Student:innen hier in Vertretungsstunden eingesetzt. Die Umsetzung ist mal mehr, mal weniger erfolgreich: Zwar können Praxissemester den Studierenden helfen, einen Einblick in ihre zukünftige Arbeit zu erhalten, um zu testen, wie geeignet sie für den tatsächlichen Schulalltag sind. Herausforderungen wie ein guter Umgang mit Diversität, Integration und ein Gefühl für den richtigen Umgang mit Schüler:innen können so früher trainiert werden — besser als in einem Hörsaal. Doch viele Studierende klagen  über  mangelnde Unterstützung der Lehrer:innen. Eine Studentin berichtete Georg C. Hoffmann, dem Vorsitzenden der jungen Philologen im Deutschen Philologenverband: „Zu den ausgefallenen Stunden hat die Lehrerin grundsätzlich kein Material gestellt, sondern gemeint, wir sollen uns zu den Einheiten etwas ausdenken." Die Lehrkräfte finden jedoch oft zeitlich gar keine Möglichkeiten, die Student:innen ausreichend anzuleiten. „Eigentlich müssten sich ausgebildete Lehrkräfte Zeit nehmen, um Studierenden etwas beizubringen. Da sollten Stunden eingeplant werden, um sich zusammenzusetzen. In der aktuellen Situation schaffen die das gar nicht.", äußert Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnen Verbands (BLLV). 

Auch Expert:innen an den Universitäten Bayerns sehen die Pläne Söders kritisch. „Die Idee, Personallücken zu stopfen, ist der ganz falsche Ansatz" sagt etwa Andreas Hartinger, Lehrstuhlinhaber der Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik an der Universität Augsburg. Er sei grundsätzlich offen für ein Praxissemester, in dem Studierende eigenverantwortlich Unterricht übernehmen. Dies sollte aber erst nach dem dritten oder vierten Semester stattfinden und nur unter Aufsicht. „Geschieht das nicht, kann das zu Abbrüchen führen." Simone Fleischmann, die Präsidentin des BLLV warnt ebenfalls vor einem Abschreckungserlebnis und so dem möglichen Vergraulen von Studierenden: „Wer jetzt nicht optimal begleitet wird und merkt, wie chaotisch es abläuft, den verlieren wir". Der bayerische Elternverband äußert außerdem Skepsis, ob die Qualität des Unterrichts auch durch Student:innen beibehalten werden kann. 

Wie eine optimale Umsetzung des Praxissemesters aussehen sollte, hat der BLLV in einem Positionspapier dargestellt. Laut diesem müssen Orientierungsgespräche, Elternabende, Konferenzen, Hospitationen und auch selbst geführter Unterricht, allerdings unter Aufsicht und guter Anleitung, Teil des Praxissemesters werden. Da Lehre unter die akademische Freiheit fällt, hängt die genaue Umsetzung des Praxissemesters von der jeweiligen Universität ab. „Die können die Qualität überprüfen und Lehrer unterstützen, wenn sie das denn wollen. Sonst passiert das eben nicht", sagt der Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, Gerhard Brand.

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