Die Folgen globaler Ereignisse, die unsere Lebenswelt nachhaltig verändern, sind naturgemäß auch im Schulunterricht in Deutschland spürbar. Generationsübergreifende Themen wie der Klimawandel, die Globalisierung oder der aktuelle Ukraine-Krieg werfen Fragen für Schüler:innen auf und beschäftigen sie auch im Alltag. Lehrpersonen sind „Fachleute für das Lernen“ (Kultusministerkonferenz) und neben gesetzlichen und formalen Rahmenbedingungen ist auch das Eigenengagement für eine gelingende Demokratiebildung in der Schule ausschlaggebend. Doch der aktuelle Schulunterricht richtet sich überwiegend auf die Vermittlung von Wissen. Klassische Unterrichtsfächer wie Englisch, Mathematik und Deutsch sind notwendige Kompetenzbereiche, um im späteren Berufsfeld vorbereitet zu sein. Die Lehrpläne werden häufig an der Lebenswirklichkeit der Schüler:innen vorbei geplant und höchstens in den Pausenzeiten oder Fächern wie Ethik, Religion oder Sozialkunde berücksichtigt.
Aus einer Analyse der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2018 zum Thema Demokratiebildung an Schulen, in denen die Sichtweise von Lehrkräften hierbei untersucht wurde, geht hervor, dass 60 Prozent der Lehrer:innen ihren Schüler:innen demokratische Kompetenzen vermitteln. Bei rund einem Drittel der Lehrkräfte (33,9 Prozent) werden sie in hohem Maße vermittelt. Die Lehrformate, die im Unterricht zur Demokratiebildung eingesetzt werden, sind in der Relation gering, nur 41,3 Prozent geben an, diese auch einzusetzen. Menschenrechte und moralische Denkweisen sind im Unterricht stark vertreten, laut der Analyse haben das Verstehen ökonomischer Zusammenhänge, das Verstehen von Religionen, Möglichkeiten der politischen Teilhabe, Sexismus sowie Homo- und Transphobie unterdurchschnittliche Werte. Lehrer:innen sind gefordert, diesen Themen im Unterricht einen Raum zu geben und auf Fragen der Schüler:innen einzugehen.
Fragen wie: Warum lerne ich das eigentlich gerade? Brauche ich das für mein späteres Leben? Schüler:innen möchten sich auch mit den Lerninhalten identifizieren können und Zusammenhänge aus ihrem eigenen Leben außerhalb der Schule herstellen. Obwohl Kinder und Jugendliche ihr Schulumfeld gerne mitgestalten, kommen Themen wie Mitsprache oder demokratische Teilhabe zu kurz im Unterricht. Darum geht es nicht zu entscheiden, wo die nächste Klassenfahrt für die Schüler:innen hingeht oder welches Thema die Projektwoche haben soll, sondern um die Verbesserung des Unterrichts oder das Leitbild der Schule.
Dennoch gibt es vielfältige Konzepte, die es Schüler:innen ermöglichen, demokratische Mitsprache, Mitbestimmung und Mitgestaltung in der Schule zu erleben. Demokratieförderung, das bedeutet auch, Einschränkungen sichtbar zu machen und zu erklären. Denn sowohl Rede- als auch Streitkultur gehören zur Basis jeder demokratischen und vielfältigen Gesellschaft. Argumente glaubwürdig und präzise vermitteln zu können, erscheint dabei genauso wichtig wie das aufmerksame Zuhören und das aufeinander eingehen. Das kann z. B. im Unterricht geschehen, indem man am Anfang des Schuljahres mit den Schüler:innen den Lehrplan bespricht und die dort vorgegebenen Rahmenbedingungen und Lehrziele erklärt.
Nach dem Motto „global denken, lokal handeln" rief im Jahr 2004 die Deutsche Gesellschaft des Club of Rome, gemeinsam mit Schulen aus ganz Deutschland, das Netzwerk der Club-of-Rome-Schulen ins Leben. Die Schüler:innen an Club-of-Rome-Schulen lernen, grenzübergreifend zu denken, globale Denkweisen einzunehmen und im lokalen Umfeld aktiv anzuwenden. Club-of-Rome-Schulen sind als Denkfabrik gedacht, an denen Schüler ihre Selbstwirksamkeit in großen und kleinen Zusammenhängen entdecken und ihre Potentiale entfalten können. Das Projekt setzt sich mit einem ganzheitlichen Konzept dafür ein, Schüler:innen Themen wie Nachhaltigkeit, Globalität und Gemeinschaft näherzubringen.
Das Engagement und das Potenzial jedes Einzelnen trägt zur Weiterentwicklung des Lehr - Alltags bei. Partizipation, Toleranz, Vielfalt und Respekt sind hierbei eine Grundvoraussetzung, um langfristig eine Vertrauenskultur im Schulalltag zu schaffen. Insgesamt haben sich aktuell 16 Schulen in unterschiedlichen Bundesländern für Club-of-Rome-Schulen qualifiziert oder requalifiziert. Dazu gehört beispielsweise das Thomas-Strittmatter-Gymnasium St. Georgen, welche das reguläre Schulprogramm mit zusätzlichen Angeboten, wie einem Deutsch-kolumbianischem Theaterprojekt oder dem Reiseprojekt Welt:Klasse ergänzen. In diesem reisen die Schüler:innen vier Wochen in ein ausgewähltes Land wie Südamerika oder Indien und lernen durch einen Perspektivenwechsel unterschiedliche gesellschaftliche Betrachtungswinkel kennen. Die Schüler:innen lernen, Beobachtungen aus ihrer direkten Lebenswelt in globale Zusammenhänge einzuordnen und andersherum die Auswirkungen globaler Entwicklungen auf ihre eigene Umwelt zu übertragen. Im Lernformat Frei-Day, entwickelt von der Bildungsorganisation Schule im Aufbruch, bietet es Schüler:innen einen notwendigen Raum zur strukturellen Verankerung des BNE und orientiert sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Die Idee dahinter ist, Kindern und Jugendlichen einen Freiraum zu bieten – vier Stunden jede Woche und im Stundenplan verankert, arbeiten die Schüler:innen an Projekten mit Fragestellungen, welche sie selbst bestimmen. Es soll Kinder ermutigen, selbstbestimmte Lösungsansätze zu entwickeln und umzusetzen.
Die folgenden Beispiele zeigen, wie Beteiligungsprozesse im Lehrbetrieb funktionieren und zur Demokratiebildung beitragen können. In Bayern möchte man unter der Initiative „Werte machen Schule“, Schüler:innen mit einer einwöchigen Weiterbildung zum Wertebotschafter:in den Schulalltag stärker mitgestalten lassen. Zielgruppe hierbei ist die Schülerschaft der achten und neunten Klassenstufe. Die Reichweite der Projektbeispiele ist enorm und erstreckt sich von Werte-Stunden mit der eigenen Klasse, Werte-Projekttagen oder ganzen Werte-Wochen für die ganze Schule. Das Forschungsinstitut für Betriebliche Bildung (fbb) führt regelmäßig dazu eine externe Evaluation der Pilotphase (2018-2023) durch – zur Verbesserung der Fortbildung und zur Erarbeitung weiterer Handlungszusammenhänge für die schulische Wertearbeit.
Die deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. setzt sich für das Verstehen internationaler Prozesse und das Lernen in einer interaktiven Schulstunde ein. Das Format „UN im Klassenzimmer” bietet die Möglichkeit, die Arbeits- und Funktionsweise der Vereinten Nationen kennenzulernen. Die Schüler:innen nehmen die Rolle verschiedener Länder oder Delegierte ein und diskutieren die politische Haltung zu Konflikten. Zudem werden in unterschiedlichen Sitzungen Resolutionen verabschiedet und verhandelt, Anträge gestellt und versucht, akzeptable Kompromisse zu finden. Grundlegend geht es um das Verstehen und Entwickeln eines kritisch begründeten Sach- und Werturteiles, um auf diese Weise die Fähigkeit der politischen Mündigkeit im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu erlangen.
Das Bundesnetzwerk Europaschule lehrt beispielsweise zwischen dem eigentlichen Lehrplan Grund- und Menschenrechte der europäischen Wertegemeinschaft und bereitet Schüler:innen auf das Leben als europäischer Staatsbürger vor. Dazu gehören mehrere Fremdsprachenkompetenzen als auch die Vorbereitung auf Sprachdiplome unter anderem KMK-Fremdsprachenzertifikate im berufsbildenden Bereich. Mittlerweile gibt es mehrere anerkannte Schulen, die die Kriterien einer Europaschule erfüllen. Das Programm Europa macht Schule unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten ist hier zu erwähnen. Dort nehmen Studierende aus aller Welt teil, um zu Botschaftern ihres Landes zu werden. Die Studierenden erhalten die Möglichkeit, der Schulklasse ihr Herkunftsland aus ihrer persönlichen Perspektive vorzustellen und treten dabei in einen Austausch mit deutschen Schüler:innen verschiedener Klassenstufen. Vorurteile und Stereotypen einer Kultur sollen überwunden und Einstellungen von stereotypischen Zuschreibungen reflektiert werden. Ziel ist die Erarbeitung eines individuellen Projekts mit der Schulklasse, welches einen Umfang von drei bis fünf Unterrichtsstunden umfasst, zum Abschluss werden die Ergebnisse gemeinsam präsentiert.
Der Ukraine-Krieg oder auch die Corona Pandemie zeigen, dass Schüler:innen interessiert auf die unterschiedlichen politischen Weltbühnen schauen. Das Portal frieden-fragen.de zum Beispiel verzeichnet einen großen Zuwachs an Fragen zum Thema Krieg. Das Portal bietet Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, Fragen zu ihren aktuellen Sorgen zu stellen. Laut der Shell Studie von 2019 ist auch die Zahl der 12-25 Jährigen in Deutschland, die sich für Politik interessieren, weiterhin stabil und liegt bei knapp 41 Prozent. Der Umweltschutz und Klimawandel sind für die jüngere Generation sehr wichtig, 71 Prozent gaben an, Angst vor den Folgen der Umweltverschmutzung zu haben. Die Zufriedenheit der Befragten mit der Demokratie in Deutschland liegt hier bei 77 Prozent, jedoch fühlen sich 71 Prozent der Kinder und jungen Erwachsenen nicht ausreichend an der politischen Entwicklung beteiligt. Schülerinnen und Schüler sind durch die Corona-Pandemie, den Klimawandel und den Ukraine-Krieg stark belastet. Bei all diesen Themen geht es um ihr zukünftiges Leben, ihre Perspektive. Schüler:innen brauchen in dieser Zeit einen Raum, um eigene Visionen eines friedlichen Zusammenlebens zu entwickeln. Deswegen sind Formate und Projekte im Schulalltag wichtig, damit Schüler:innen sich ihrer eigenen Selbstwirksamkeit bewusst werden und umsichtig handeln. Jedoch kann dies kein Unterrichtsfach leisten, diese Grundwerte der Demokratie müssen täglich im Schulalltag gelebt werden.