Fremdwort Digitalisierung? Das deutsche Bildungssystem im globalen Vergleich

Ein Junge benutzt eine VR-Brille, um in eine virtuelle Welt einzutauchen. Das Bild trägt den Schriftzug "Bildung mit neuer Perspektive danke Virtual Reality"

Die Dynamik des Alltags verändert sich – stetig. Und zunehmend rasant. Politische wie ökologische Veränderungen, Krisen und Skandale sowie technologische Quantensprünge prasseln Tag für Tag auf uns ein. In vielen Köpfen keimt daher die Angst, abgehängt zu werden, nicht mehr Schritt halten zu können. Ein Ansatz, die zunehmende Geschwindigkeit des Zeitgeschehens zu kompensieren, ist eine Anpassung der Bildungspolitik – aber findet diese wirklich statt?

Die Digitalisierung des Lernens ist ein zentrales Thema in der globalen Bildungspolitik. Sollte man meinen. Zumindest in Deutschland gewinnt man allerdings den Eindruck einer eher stiefmütterlichen Behandlung dieses essenziellen Anliegens. Dabei steht der Instrumentenkasten für eine inklusive, faire und nachweislich effektivere Bildung längst bereit.

So zeichnet unter anderem Virtual Reality das Potenzial aus, den Unterricht nicht nur klug zu ergänzen, sondern die Art, wie wir lernen, spielerisch und damit nachhaltig zu gestalten. Die Lernenden werden im Vorbeigehen auf eine hochgradig digitalisierte Zukunft vorbereitet, und zu Mitgestaltern derselben gemacht. Auch KI fließt überall auf der Welt zunehmend in den Alltag des Lernens ein. Doch wie ist es global um die Integration von digitalen Lehrmitteln in den Lernalltag bestellt – und wo ordnet sich Deutschland in diesem Wettrennen ein?

Spicken erwünscht: Ein Blick nach Südkorea lohnt sich

Weltweit sind Länder unterschiedlich weit fortgeschritten, wenn es um die Integration digitaler Technologien in den Bildungsalltag geht. Laut einer OECD-Studie aus dem Jahr 2020 variieren die Investitionen und die Implementierung digitaler Bildungstechnologien von Land zu Land stark. Dabei gehören Länder wie Südkorea, Finnland und Singapur zu den Spitzenreitern, was die aktive Nutzung und Integration von digitalen Tools im Unterricht betrifft. Diese Länder haben umfassende Strategien entwickelt, um digitale Medien, so auch virtuelle Lernwelten, in ihre Bildungssysteme zu integrieren.

Das Ergebnis: Signifikante Zugewinne in der Qualität der Bildung. So befinden sich Länder, deren Bildungssektor in hohem Grad digitalisiert ist, kompetenzübergreifend im oberen Drittel der PISA-Studie wieder.

Dabei lohnt sich insbesondere der Blick gen Fernost – denn in Südkorea ist der Einsatz von High Tech in der Schule längst Alltag. Dabei kommen nicht nur virtuelle Lernwelten zum Einsatz, sondern nahezu ausschließlich digitale Lehrbücher. Ab 2025 sogar mit KI-Integration, um individuelle Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler adressieren zu können. Auffällig dabei: Unser Verständnis von Digitalisierung, welches im Wesentlichen von WLAN-Infrastrukturen und Smartboards genährt wird, wird hier gnadenlos überholt.

Auch in Finnland nutzen bereits über 30 Prozent der Schulen VR-Technologien im Unterricht, während in den USA entsprechende Pilotprojekte stark zunehmen. In Singapur hat die Regierung erhebliche Mittel in die digitale Bildung investiert, was zu einer weitläufigen Technologieakzeptanz und Nutzung in den Klassenzimmern geführt hat.

Die Lehrerrolle neu gedacht

Bei allem Tech-Einsatz wird die Frage aufgeworfen, inwiefern sich nicht nur das System verändern muss und wird, sondern auch der Beruf der Lehrkraft. Die Vermutung liegt nahe, dass die tatsächlich wissensvermittelnde Rolle durch den Mehrwert von VR, KI und Co. in den Hintergrund rückt, und die empathische, emotionale und pädagogische Flanke in gleichem Maße an Relevanz gewinnt.

Deutschlands Stellung im internationalen Vergleich

Anders als Südkorea und Finnland wird Deutschland in zahlreichen Reports als Nachzügler in der Digitalisierung von Bildung hervorgehoben. Der Bertelsmann-Digitalisierungsindex  zeigt, dass Deutschland im internationalen Vergleich deutlich hinterherhinkt. Die OECD untermauert dies und betont, dass deutsche Schulen oft unzureichend mit digitaler Infrastruktur ausgestattet und die Lehrkräfte nicht ausreichend auf den Einsatz digitaler Technologien vorbereitet sind.

Konkret in Bezug auf Virtual Reality als Lerninstrument kontrastiert Deutschland mit den Vorreitern der PISA-Studie und offenbart großen Nachholbedarf – so wird die Technologie von weit unter 10 Prozent der Schulen überhaupt eingesetzt.

Ursachen und Herausforderungen

Die Gründe für den behäbigen Umgang mit Innovationen im Bildungswesen sind vielfältig. Eine wesentliche Herausforderung ist die unzureichende digitale Infrastruktur. Viele Schulen sind nicht ausreichend mit schnellem Internet und modernen Computern ausgestattet. Eine Umfrage des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) aus dem Jahr 2023 zeigt, dass nur 25 Prozent der deutschen Schulen über eine flächendeckende WLAN-Ausstattung verfügen, die für den Einsatz von VR notwendig ist.

Ein weiterer Faktor ist die mangelnde Ausbildung und Weiterbildung der Lehrkräfte. Laut einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) fühlen sich viele Lehrkräfte nicht ausreichend auf den Einsatz digitaler Technologien vorbereitet. Dies führt zu einer geringen Akzeptanz und Nutzung von digitalen Helfern wie Virtual Reality im Unterricht.

Zu guter Letzt steht der Integration neuer Technologien auch immer die Finanzierungsfrage und ein daran angedockter bürokratischer Aufwand gegenüber. So kommt es nicht selten vor, dass über die Dauer des Prozesses von der Beantragung bis zur Bewilligung von zielgerichteten Mitteln das anzuschaffende Instrumentarium bereits wieder veraltet ist.

Potenziale und Lösungsansätze

Trotz vieler Herausforderungen bietet VR enorme Potenziale für den Unterricht – die man nicht ungenutzt versanden lassen sollte. VR kann Lerninhalte anschaulich gestalten, komplexe Prozesse greifbar machen und das Lernen mit einer spielerischen Komponente für mehr Motivation und Lernerfolg verbinden.

So sind virtuelle Exkursionen zu historischen Stätten, Zeitreisen zu historischen Ereignissen oder beliebig oft reproduzierbare Experimente der Chemie und Physik nur wenige Vorteile, die der Einsatz von VR mit sich bringt.

Um das Potenzial von VR in deutschen Schulen abzurufen, sind jedoch umfassende Maßnahmen erforderlich. Zunächst gilt es, die digitale Infrastruktur erheblich zu verbessern. Der DigitalPakt Schule zielt zwar genau darauf ab, allerdings muss die Umsetzung dieser Maßnahme drastisch beschleunigt und ausgeweitet werden.

Des Weiteren müssen, wenn wir über das eingangs erwähnte Abgehängtwerden bei zu hoher Dynamik sprechen, alle Beteiligten an die Hand genommen werden. Dazu gehört auch die entsprechende Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften – um nicht nur den Umgang mit technologischen Innovationen zu vermitteln, sondern auch Anpassungen an der didaktischen Einbettung selbiger in den Unterricht vorzunehmen.
Programme wie "Digitale Schule NRW" bieten vielversprechende Ansätze, um Lehrende auf die Herausforderungen der digitalen Bildung vorzubereiten.

Fazit

Die Integration von Virtual Reality in den Schulunterricht bietet enorme Chancen, die Art und Weise des Lernens der Schülerinnen und Schüler zu bereichern und den Unterricht effektiver zu gestalten. Ein globaler Vergleich zeigt, dass viele Länder bereits bedeutende Fortschritte in der Digitalisierung ihrer Bildungssysteme gemacht haben. Deutschland hingegen hat noch erheblichen Nachholbedarf.

Um den Anschluss an die Spitzenreiter nicht zu verlieren, sind umfassende Investitionen in die digitale Infrastruktur, eine verstärkte Ausbildung und Weiterbildung der Lehrkräfte sowie eine strategische Implementierung digitaler Technologien im Unterricht notwendig. Nur so kann Deutschland das Potenzial von VR und anderen digitalen Technologien voll ausschöpfen und seine Schülerinnen und Schüler zu Mitgestaltern einer hochgradig digitalisierten, dynamischen Zukunft machen.

Mehr zur Person

Jan-Philipp Moritz
Jan-Philipp Moritz ist ein Visionär im Bereich der digitalen Bildung. Als Gründer und CEO der VIL GmbH entwickelt er immersive Lernwelten für Schulen und Unternehmen. Er hat erfolgreich das Bildungsengagement von tonies®️ im Bereich der frühkindlichen Bildung betreut. Seine Motivation liegt in der Verbesserung der Bildung durch innovative Lösungen und effektive Markenkommunikation.
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