HateAid-Studie: Sexualisierte Übergriffe im Netz nehmen zu

Von
Marie-Theres Carl
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3
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August 2024
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Eine Frau streckt die Hand vor ihren Körper aus und bedeutet "Stopp"

Immer mehr junge Erwachsene sind von digitaler Gewalt betroffen oder nehmen digitale Gewalt gegen andere wahr (Quelle: Canva)

Berlin. Eine am Mittwoch veröffentlichte Studie mit dem Titel “In meinem Netz soll es keine Gewalt geben! Wie junge Erwachsene digitale Gewalt erleben und wie sie damit umgehen” von HateAid bringt besorgniserregende Erkenntnisse ans Licht: Ein großer Teil der jungen Erwachsenen in Deutschland ist von digitaler Gewalt betroffen oder beobachtet digitale Gewalt gegen andere. Die Studie zeigt auf, wie gravierend und allgegenwärtig Beleidigungen, Hassrede und sexualisierte Übergriffe im Netz sind. 

Die in Zusammenarbeit mit der Universität Klagenfurt durchgeführte Studie bietet eine Analyse der Erfahrungen junger Erwachsener mit digitaler Gewalt. Der Bericht basiert auf einer quantitativen Online-Befragung von Personen ab 14 Jahren, die zwischen Oktober und November 2023 stattfand. Insgesamt nahmen 3.367 Personen an der Studie teil. In der Altersgruppe 14 bis 17 Jahre wurden 501 Personen befragt, bei den 18- bis 27-Jährigen waren es 1.868 Personen. Die Altersgruppen  28 bis 42 Jahre sind mit 498 und 43 oder älter mit 500 Befragten vertreten.

Junge Erwachsene und ihre Erfahrungen mit digitaler Gewalt

Formen digitaler Gewalt, die Teilnehmende zwischen 18 und 27 Jahren erleben (Quelle: HateAid)

Die HateAid-Studie ergab, dass 60 Prozent der befragten jungen Erwachsenen zwischen 18 und 27 Jahren bereits sexualisierte Übergriffe im Netz erlebt oder ungewollt Nacktbilder zugeschickt bekommen haben. Diese Altersgruppe ist besonders häufig von verschiedenen Formen digitaler Gewalt betroffen. Neben den sexualisierten Übergriffen sind Beleidigungen, Hassrede und Cybermobbing weit verbreitet. Fast ein Drittel (29,6 Prozent) der 18- bis 27-Jährigen sind bereits selbst von digitaler Gewalt betroffen gewesen. Trotz dieser negativen Erfahrungen ziehen sich die meisten jungen Erwachsenen nicht aus den sozialen Medien zurück. Stattdessen ändern sie ihr Verhalten, um weiteren Übergriffen vorzubeugen.

Auch die Zahl derer, die schon einmal Zeuge von digitaler Gewalt geworden sind, ist hoch. 63,1 Prozent der Befragten in der Altersgruppe von 18 bis 27 Jahren haben bereits digitale Gewalt gegen andere wahrgenommen. Besonders betroffen sind junge Frauen, von denen 67,2 Prozent angaben, schon sexualisierte Übergriffe erlebt zu haben. Laut der Studie sind Menschen mit Migrationsgeschichte überproportional häufig betroffen. Fast 80 Prozent der jungen Erwachsenen konnten eine Zunahme der digitalen Gewalt in den letzten vier Jahren wahrnehmen. 

Nur knapp ein Fünftel sieht einen Rückzug aus den sozialen Medien als praktikable Lösung, was die Notwendigkeit für strukturelle Veränderungen und Schutzmaßnahmen unterstreicht. Die Art und Weise, wie junge Erwachsene sozialisiert werden, beeinflusst ihre Wahrnehmung und ihr Erleben digitaler Gewalt. Die intensive Nutzung des Internets und sozialer Medien erhöht die Wahrscheinlichkeit, Opfer digitaler Gewalt zu werden, denn junge Menschen nutzen diese Plattformen nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zur Identitätsfindung und Selbstdarstellung. Negative Erfahrungen in dieser sensiblen Phase der Entwicklung können langfristige Auswirkungen haben und die Entwicklung von Selbstbewusstsein und sozialer Kompetenz beeinträchtigen.

Selbstzensur als Schutzmechanismus

Die Ergebnisse der HateAid-Studie zeigen deutlich, wie tiefgreifend die Auswirkungen digitaler Gewalt auf junge Erwachsene sind. Viele Betroffene fühlen sich gezwungen, ihr Verhalten im Netz zu ändern, um sich vor weiteren Übergriffen zu schützen. Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid, betont die Notwendigkeit von Produktsicherheiten und konsequentem Jugendschutz im digitalen Raum. Sie weist darauf hin, dass die hohe Zahl sexualisierter Übergriffe unter jungen Erwachsenen besonders erschreckend ist und dringenden Handlungsbedarf erfordert.

Der Silencing-Effekt: Ein beunruhigendes Phänomen

Ein wichtiger Aspekt der Studie ist der Silencing-Effekt, bei dem Menschen durch Einschüchterung zum Schweigen gebracht werden. Die Studie zeigt, dass sowohl Betroffene als auch Nicht-Betroffene digitale Gewalt wahrnehmen und Angst haben, selbst Opfer zu werden. Dies führt dazu, dass sie sich aus Diskussionen zurückziehen und ihre Meinung nicht mehr äußern. Ein Indikator für dieses Verhalten ist, wie drastisch die Betroffenen digitale Gewalt wahrnehmen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Angst, in Zukunft betroffen zu sein.

Die Bereitschaft, sich aus den sozialen Medien zurückzuziehen, variiert zwischen den Altersgruppen. Ältere Menschen ziehen sich häufiger aus dem digitalen Raum zurück, während junge Erwachsene darauf angewiesen sind. Für sie ist das Internet ein wichtiger sozialer Treffpunkt und Raum für Austausch und Wissensgenerierung. Der Silencing-Effekt wirkt sich daher auf junge Erwachsene besonders gravierend aus. Wenn sie aus Angst vor digitaler Gewalt schweigen, verlieren sie ihre Stimme im öffentlichen Diskurs. Dies kann zu Verzerrungen in der öffentlichen Wahrnehmung und zu einer Schwächung demokratischer Strukturen führen.

Wie mit digitaler Gewalt umgegangen wird

Übersicht über Copingstrategien, basierend auf Teilnehmenden zwischen 18 und 27 Jahren (Quelle: HateAid)

Viele junge Erwachsene wenden verschiedene Mechanismen an, um mit digitaler Gewalt umzugehen. Viele nutzen technische Maßnahmen wie das Blockieren von Angreifer:innen, das Melden von Vorfällen oder das Anpassen ihrer Privatsphäre-Einstellungen. Diese Strategien erweisen sich als direkt und niedrigschwellig und bieten einen sofortigen Schutz vor weiteren Übergriffen. Sie bevorzugen diese Maßnahmen oft, da sie weniger zeitintensiv und einfacher durchzuführen sind als die Kontaktaufnahme zu offiziellen Stellen oder Beratungsstellen.

Deutlich größer ist die Diskrepanz zwischen dem Ergreifen eigener Maßnahmen und der Inanspruchnahme externer Hilfe. Viele Betroffene zögern, offizielle Stellen oder Beratungsstellen zu kontaktieren, oft aufgrund von Scham oder Angst, sich einer fremden Person anvertrauen zu müssen. Diese Unsicherheit kann die Suche nach Hilfe weiter erschweren. Ein erheblicher Anteil der jungen Erwachsenen gibt zudem an, dass sie auf digitale Gewaltangriffe überhaupt nicht reagieren. Dies kann zu verstärkten negativen Gefühlen wie Unsicherheit, Angst und Scham führen und langfristig psychische Probleme wie Depressionen oder Angststörungen hervorrufen.

HateAid sieht dringenden Handlungsbedarf bei digitaler Gewalt

Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid, betont die Dringlichkeit der Situation: “Für eine ganze Generation gehört digitale Gewalt durch soziale Medien bereits zum Alltag. Dabei ist die hohe Zahl an sexualisierten Übergriffen, die junge Erwachsene bereits erlebt haben, besonders erschreckend. Wir haben viel zu lange weggeschaut: Wir müssen unsere Kinder und Jugendlichen jetzt besser vor Gewalt im Internet schützen. Dafür braucht es dringend ein Mindestmaß an Produktsicherheit für soziale Medien und konsequenten Jugendschutz auch im Netz.“ 

Auch Josephine Ballon von HateAid äußerte sich zur Studie und unterstrich die gesellschaftliche Relevanz der Ergebnisse. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk betont sie, dass digitale Gewalt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung darstellt, die nicht nur Einzelpersonen betrifft, sondern auch die Demokratie destabilisieren kann. “Die Studie zeigt sehr deutlich auf, wie stark Jugendliche und junge Erwachsene von digitaler Gewalt betroffen sind. Das sind junge Menschen, die heutzutage mit sozialen Medien ab einem sehr, sehr jungen Alter aufwachsen und die vor allem auch kein anderes Internet mehr kennen”. Ballon hebt zudem hervor, dass bereits junge Menschen sich in den sozialen Medien selbst zensieren. Dies sei auch bei den jungen Menschen klar erkennbar, die sich vorsichtig äußerten, teilweise keine Kommentare mehr schrieben und generell sehr umsichtig seien, weil sie Angst hätten, angegriffen zu werden. Dies betreffe nicht nur diejenigen, die selbst schon angegriffen wurden, sondern auch jene, die lediglich gesehen hätten, was anderen passiert sei.

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