Prokrastination betrifft jeden. Erst wenn sie den Alltag stark beeinträchtigt, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. (Quelle: Unsplash)
Sicherlich kennt ihr das: Seit Tagen schiebt ihr schon das Korrigieren der Klassenarbeiten vor euch her, weil es lästig und zeitaufwendig ist. Der hektische Alltag von Lehrkräften erfordert oft die Bewältigung einer Vielzahl unterschiedlichster Aufgaben an einem Tag: die Vorbereitung des Unterrichts, das Erstellen von Leistungskontrollen, die Recherche zu den besten Unterrichtsmethoden – der Zeitdruck ist ständig präsent. Trotz des Bewusstseins der Dringlichkeit der Aufgaben, scrollt man lieber durch die sozialen Medien oder lässt sich von den Nachrichten ablenken. Prokrastination, das Aufschieben von unangenehmen Aufgaben, betrifft uns alle. Wie ihr sie bewältigen könnt und was überhaupt dahinter steckt, damit beschäftigen wir uns in diesem Artikel.
“Prokrastination” leitet sich vom lateinischen “procrastination", die “Vertagung auf morgen“ ab und ist der wissenschaftliche Ausdruck für ein pathologisches Aufschiebeverhalten. Laut Dr. Alexa Schneider beschreibt Prokrastinieren: "Das Verschieben einer zumeist unangenehmen Tätigkeit, zugunsten einer angenehmen oder zumindest weniger unangenehmen Tätigkeit”. Dabei wissen wir eigentlich, dass es negative Konsequenzen nach sich zieht, in unserem Beispiel vermutlich die Verschlechterung der Unterrichtsqualität, die allgemeine Arbeitszufriedenheit leidet oder eure Schlafqualität und prinzipielles Wohlbefinden verschlechtert sich. Erst wenn Prokrastination zur Gewohnheit wird und das alltägliche Leben stark davon beeinträchtigt ist, solltet ihr euch Hilfe holen. Die Prokrastinationsambulanz der Universität Münster hat dazu einen Selbsttest erstellt.
Prokrastination ist zwar keine eigenständige psychische Krankheit, kann aber Teil eines Krankheitsbilds bei beispielsweise ADHS oder Depression sein. Reines Aufschieben von Aufgaben kann nicht direkt als Prokrastination bezeichnet werden. Aufgaben aufzuschieben bedeutet letztendlich nichts weiter als dass wir im Zuge des Zeitmanagements priorisieren und strukturieren. Dagegen lässt sich von Prokrastination sprechen, wenn der Aufschub nutzlos und freiwillig ist und man sich des möglichen schädlichen Einflusses auf Leistung und Gefühle bewusst ist.
Eine Studie der Uni Münster hat herausgefunden, dass unter den dort Studierenden ganze sieben Prozent so hohe Prokrastinationswerte haben, dass sie aufgrund dessen Behandlung ersuchen. Am meisten prokrastinieren junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren, wobei Männer stärker betroffen sind. Das ergab eine Studie der Uni Mainz. Ein weiteres Ergebnis war, dass Menschen, die viel aufschieben, häufiger gestresst, müde, einsam oder depressiv sind.
Eine Studie der Uni Halle-Wittenberg hat vor einigen Jahren herausgefunden, dass Prokrastinieren selten etwas mit Faulheit zu tun hat. Viel eher sind die Ursachen unklar formulierte Aufgabenstellungen, von denen im Fall der Studie die Studierenden überfordert sind und nicht wissen, wie sie sie lösen sollen. Auch Perfektionismus oder das Fehlen eines strukturierten Tagesablaufs können Gründe sein. Wenn ihr besser verstehen wollt, warum wir Menschen prokrastinieren, könnt ihr das zum Beispiel hier nachlesen.
Es gibt zahlreiche Tipps und Tricks, die gegen Prokrastination helfen. Eine “goldene Regel” ist laut dem Psychologen Johannes Hoppe das Zerteilen der Aufgabe in kleine Schritte. Von zu großen Aufgaben ist man schnell überfordert und weiß nicht, wo man anfangen soll, also lieber mit kleinen Schritten ans Ziel.
Eine der bekanntesten Strategien gegen das lästige Prokrastinieren ist die ALPEN-Methode. Sie hilft dir, deine Zeit auf unterschiedlichen Ebenen zu managen. Entweder strukturiert ihr einzelne große Aufgaben, wie das Schreiben einer Hausarbeit oder das Vorbereiten einer Unterrichtsstunde, oder ihr strukturiert die Ziele in einer ganzen Phase, wie beispielsweise ein Schuljahr oder Semester. So funktioniert die ALPEN-Methode:
A – Aufgaben notieren: Was ist das Ziel? Welche Teilschritte und Etappen sind dafür erforderlich?
L – Länge einschätzen: Wie lange braucht man für diese Teilschritte jeweils? Plant lieber etwas mehr als zu wenig Zeit ein.
P – Pufferzeit einplanen: Oftmals stellen sich uns Dinge in den Weg, die wir nicht planen können. Eine Erkältung? Ein dringender Termin? Plant daher für solche Fälle ausreichend Pufferzeit ein, so dass ihr am Ende nicht in Stress geratet. Damit einhergeht die 50-Prozent-Regel. Sie gibt vor, dass für alles die doppelte Menge an Zeit eingeplant werden sollte. Streicht die Hälfte eurer Aufgaben für den Tag und sorgt somit für mehr Effektivität bei der Erledigung der restlichen To-Dos.
E – Entscheidungen treffen: Zu einem guten Zeitmanagement gehört es auch unwichtigere Aufgaben zu streichen und zu priorisieren. Aufgaben, die euch nicht näher an euer Ziel bringen und nicht lebensnotwendig sind, dürfen verschoben werden. Das Bad kann zum Beispiel auch noch nach dem Korrigieren der Klausuren geputzt werden.
N – Nachkontrollieren: Habt ihr euer Ziel erreicht? Was ist eure Bilanz? Haben die Zeitpuffer ausgereicht?
Hier findet ihr ein Beispiel und eine Vorlage zur ALPEN-Methode.
Oft setzt man sich unter Druck indem man sich zu viel vornimmt. Versucht eure Aufgaben zu priorisieren und euch die dringlichste herauszusuchen. Fokussiert euch nur auf diese eine Aufgabe und stellt alle anderen fürs Erste hinten an. So seid ihr im Endeffekt effektiver, als wenn euch die Aufgabenmasse ganz vom Anfangen abhält.
In kleinen Schritten zum Ziel. Überlegt euch, welche eurer Aufgaben ihr in fünf Minuten schaffen könnt. Stellt euch dann einen Timer und fangt an! Die Forschung belegt, dass wir dazu tendieren, angefangene Aufgaben eher beenden zu wollen, als Aufgaben, mit denen wir uns noch gar nicht beschäftigt haben. Dafür sorgt der Zeigarnik-Effekt. Er besagt, dass unerledigte Aufgaben viel eher in unserem Kopf hängen bleiben als erledigte Aufgaben. Deshalb habt ihr auch andauernd eure To-Do-Liste im Kopf und denkt an die Aufgaben, die noch anstehen.
Bei der Pomodoro Technik setzt ihr euch Intervalle von 25 Minuten, zwischen denen je fünf Minuten Pause liegen, in denen ihr fokussiert an eurer Aufgabe arbeitet. Nach ca. vier dieser Intervalle, die man übrigens “Pomodori” nennt, macht ihr eine längere, etwa 15 bis 20 minütige Pause. Diese simple Methode hilft euch, eure Produktivität, Fokussierung und Qualität des Arbeitens zu verbessern. Es gibt sogar eigene browser-basierte Apps, wie tomatotimers, die euch beim Umsetzen der Technik helfen. Ihr möchtet die Pomodoro-Technik lieber per App am Handy tracken? Auch das geht! Dafür stehen euch zum Beispiel die Flat Tomato App oder für die Android User unter euch die Engross App zur Verfügung.
Dem Gehirn fällt es leichter, neue Gewohnheiten aufzubauen, wenn es dafür einen wiederkehrenden Trigger bzw. Auslöser gibt. Wählt euch zum Beispiel einen Song aus, der euch motiviert und Energie gibt. Spielt diesen dann immer, wenn ihr dabei seid, eine Aufgabe wiederholt aufzuschieben.
Manchmal kann es helfen, herauszufinden, warum wir eine Aufgabe vermeiden. Vielleicht wisst ihr nicht, wo ihr anfangen sollt oder habt Angst zu versagen? Was macht die Aufgabe so unangenehm? Setzt ihr euch zu sehr unter Druck? Die Ursache für ein Problem zu identifizieren, hilft dieses zu verstehen und zu bewältigen. Meistens lässt sich dann erkennen, dass sich die Angst viel größer anfühlt, als sie eigentlich ist.
Eine weitere Möglichkeit, das Gehirn auszutricksen, ist, sich nach dem Fertigstellen einer Aufgabe zu belohnen. Die Art und Weise der Belohnung kann ganz individuell aussehen. Studien belegen, dass das Gehirn auf Belohnungen reagiert und man somit leichter Gewohnheiten aufbauen kann.
Neben analogen Tipps und Tricks gibt es natürlich auch die Möglichkeit, sich digitale Unterstützung zu holen. Kennt ihr zum Beispiel schon die App Forest? Solange die App geöffnet ist, wachsen auf eurem Bildschirm Bäume. Nach und nach kommen immer mehr Bäume hinzu, bis ein ganzer Wald entsteht. Wenn ihr die App schließt, sterben die Bäume. Die App The Fabulous wurde im verhaltenswissenschaftlichen Labor der Duke University in North Carolina entwickelt und unterstützt euch bei der Integration positiver Gewohnheiten in euren Alltag. Mit einer gesunden Routine schafft ihr es, eure Aufgaben fokussiert zu erledigen. Focus @ Will hat den Ansatz, eure Konzentration bei euren To-Dos durch Musik zu steigern. Die Musikauswahl basiert auf neurowissenschaftlicher Forschung und stimuliert den Fokus. Die App Rocket 135 hilft dir, Aufgaben zu priorisieren und zu strukturieren. Ihr tragt dazu eine große Aufgabe, drei halbwichtige und fünf kleinere To-Dos in die App ein. Das hilft euch, sich auf eine Aufgabe auf einmal zu konzentrieren.
Für diese Technik stellt ihr euch einen Timer 15 Minuten vor dem geplanten Arbeitsbeginn. Führt dann ein Ritual durch, wie den Schreibtisch aufräumen oder sammelt Unterlagen zusammen oder stellt euch eine Tasse Kaffee bereit. Mit der Zeit wird dieses Ritual zum Signal, dass jetzt der Fokus auf der Arbeit liegt.
Wenn keine der oben aufgeführten Tipps helfen und die Prokrastination deutlich negative Auswirkungen auf euren Alltag hat, solltet ihr in Erwägung ziehen, euch professionelle Hilfe zu suchen. Mehrere Universitäten beschäftigen psychologisches Personal, an das ihr euch als Studierende:r wenden könnt. Die Prokrastinationsambulanz der Uni Münster bietet beispielsweise ein Kurztraining in Kleingruppen an. Die Prokrastinationspraxis an der FU Berlin bietet regelmäßige Workshops an und stellt online ein Handout zur Prokrastinationstheorie, ein Handout mit Tipps zum Umgang mit Prokrastinierenden und ein Handout mit Tipps gegen das Prokrastinieren an.
Habt ihr noch weitere Tipps und Tricks gegen Prokrastination? Schreibt es gerne in die Kommentare!