Kundgebung vor dem Kanzleramt während der Ministerkonferenz in Berlin am 15.6.23 (Quelle: Christian von Polentz)
Altmark. Nach fast 40 Dienstjahren wurde eine Grundschullehrerin vom Land Sachsen-Anhalt gekündigt. Der Grund: Sie verweigerte die Mehrarbeit, zu der seit April diesen Jahres alle Lehrkräfte des Landes verpflichtet sind. Jetzt klagt die 60-Jährige vor dem Arbeitsgericht.
Die Lehrerin Birgit Pitschmann aus der Altmark erreichte nach fast 40 Jahren im Dienst eine fristlose Kündigung vom Landesschulamt Sachsen-Anhalt (SA). Begründet wird diese durch die Verweigerung der Lehrerin zu einer zusätzlichen Mehrstunde in der Woche, die seit den Osterferien in Sachsen-Anhalt für alle Lehrer:innen verpflichtend ist. So sollen weniger Unterrichtsstunden ausfallen und dem andauernden Lehrkräftemangel entgegengewirkt werden. Geplant ist entweder die Möglichkeit zur Auszahlung der Mehrstunden oder zur Ansammlung auf einem Arbeitszeitkonto für z.B. einen früheren Renteneintritt.
Schon vor Beschluss dieser Regelung von der Landesregierung gab es großen Widerstand aus der Lehrerschaft. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte bereits im Februar zu Protesten in Halle und Magdeburg aufgerufen, an denen viele Lehrkräfte teilgenommen haben, jedoch ohne Erfolg. Die GEW kritisierte das Vorgehen des Landesschulamtes und forderte die Abschaffung der Zusatzstunde, da das Ziel einer 100-prozentigen Unterrichtsversorgung durch die Mehrarbeit nicht erreicht und auch den Lehrer:innen keine Entscheidungsmacht über die Maßnahme erteilt wurde. „Niemand hat mit ihnen gesprochen“, kritisiert die Landesvorsitzende Eva Gerth. Darüber hinaus soll die Entgeltfortzahlung für die zusätzlichen Stunden durch technische Hindernisse erst zum Schuljahresende geschehen und nicht am Ende des Monats, was gegen die Arbeitszeitordnung verstößt.
Doch nicht nur aus juristischer Sicht wird der Beschluss der Landesregierung kritisiert. Insbesondere die betroffenen Lehrkräfte haben es schwer und „die eine Stunde ist jetzt das, was das Fass zum Überlaufen bringen könnte“, so der Berufsschullehrer und stellvertretender Landesvorsitzender der GEW, Malte Gerken. Viele Lehrkräfte hätten ihr Limit bereits erreicht, sagt er weiter. Schon lange fordert die GEW mehr Entlastung für die Lehrer:innen und Unterstützung bei bürokratischen Aufgaben, damit sich die Bereitschaft zu unterrichten erhöht.
Das Unterrichten ist anspruchsvoller geworden und sei nicht mit der früheren Zeit zu vergleichen, berichtet Pitschmann. Große Klassen mit bis zu 30 Schülern, unterschiedliche Voraussetzungen und Herausforderungen, und Themen wie die Inklusion von Kindern mit Handicaps machen es vielen Lehrern nicht leicht. Pitschmann selbst sei an ihre persönliche Leistungsgrenze gekommen, weswegen sie sich gegen die Mehrstunden entschieden hat.
Sie habe sich von Anfang an im Kollegium gegen die Zusatzstunden ausgesprochen, dafür Unverständnis, aber auch Bewunderung für ihren Mut erhalten. Ein Personalgespräch und eine Abmahnung konnten sie nicht von ihrer Meinung abbringen, weswegen das Landesschulamt, welches an geltendes Recht gebunden ist, ihr die fristlose Kündigung erteilte. Die Kündigung sei „letztlich eine arbeitsrechtliche Entscheidung, weil sich eine Lehrkraft nicht an die Bestimmungen ihres Arbeitsvertrages gehalten hat“.
Trotz des Schocks möchte sie nicht locker lassen. Da sie sich in ihrer Ehre als Lehrerin der vergangenen Jahrzehnte und als Mensch gekränkt fühlt, hat sie beschlossen, gerichtlich gegen die Kündigung vorzugehen. Der Prozessbeginn ist noch unklar, jedoch ist sicher, dass der Prozessausgang Auswirkungen auf die weitere Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt haben könnte und eine Menge Lehrer:innen, Gewerkschaften und Politiker gespannt auf die nächsten Informationen warten werden.
Auch die GEW möchte vor Gericht ziehen. So ist es laut Gerth das Ziel, dass die Pläne im besten Fall gekippt werden. Zudem bietet die Gewerkschaft den Betroffenen Unterstützung für andere Rechtsmittel an. So sind eine Klage gegen die Erlassanordnung selbst sowie eine Klage gegen die ausstehende Bezugszahlung bereits anhängig.
Der Lehrkräftemangel ist ein wichtiges, ernstzunehmendes Problem, dem mit innovativen Ideen, die allen Beteiligten unterstützen, entgegengewirkt werden muss. Eine Bildungswende ist das Ziel, für das sich am Bundesprotesttag eingesetzt wird. Dieser findet am kommenden Samstag in ganz Deutschland statt. Wo genau, könnt ihr hier ganz einfach auf der Webseite von ‘Schule muss anders’ nachschauen. Unsere neue Pressemeldung dazu findet ihr hier.