Vielen Jugendlichen fällt es morgens schwer aus dem Bett zu kommen (Quelle: Unsplash)
Erinnerst du dich noch an die Tage, als der Wecker unbarmherzig in den frühen Morgenstunden klingelte und du mit müden Augen aus dem Bett krochst? Als Jugendliche haben wir selbst die Strapazen des zu frühen Schulbeginns erlebt. Der verlockende Gedanke, noch ein paar Minuten kostbaren Schlaf zu erhaschen, bevor der Alltag uns einholte. Diese Erinnerungen sind nicht nur ein Teil unserer Vergangenheit, sondern auch ein Fenster in die Realität vieler Jugendlicher heute. Der frühe Schulstart ist eine Belastung, die sie Tag für Tag begleitet. In diesem Artikel möchten wir die Auswirkungen des zu frühen Schulbeginns erfassen und nach Lösungen suchen, um ihre Bedürfnisse besser zu berücksichtigen.
Die Frage nach dem Ist-Zustand zu Beginn dieser Recherche hat ein vielschichtiges Bild geliefert, denn es gibt dazu keine genauen Angaben. Es gibt keine einheitliche Regelung, wann der Unterricht an deutschen Schulen beginnt oder beginnen soll, sondern der Start der Schule variiert je nach Bundesland, Schultyp, Schule, Stundenplan und Jahrgang. Das Team von Riffreporter hat dazu bereits in ihrem Artikel Schlaflose Jugend in Deutschland einen Blick auf die verschiedenen Bundesländer geworfen: Im Saarland liegt der Schulbeginn laut Angaben der Schulbehörde zwischen 7:30 Uhr und 8:15 Uhr, in Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen startet der Unterricht zwischen 7:30 Uhr und 8:30 Uhr. Rheinland-Pfalz sieht einen Schulbeginn nicht vor 7:45 Uhr vor, Grundschulen können innerhalb eines Korridors von 7:30 Uhr bis 8:30 Uhr wählen. In Berlin beginnt die Schule nicht vor 7:30 Uhr, während in Brandenburg "ausnahmsweise" bereits ab 7:00 Uhr morgens unterrichtet werden darf. Sachsen hat unterschiedliche Zeiträume für Grund- und Förderschulen sowie Oberschulen und Gymnasien festgelegt, Bremen empfiehlt einen Schulbeginn um 8:00, macht aber keine bindenden Vorgaben. In Bayern, Schleswig-Holstein, Thüringen, Hessen, Baden-Württemberg und Hamburg gibt es überhaupt keine zeitlichen Vorgaben für den Schulstart.
Die Entscheidung über den konkreten Schulbeginn liegt in allen Bundesländern bei der Schulkonferenz. Es sind die Schulleitungen in Zusammenarbeit mit Vertretern aus Lehrer-, Eltern- und Schülerschaft, die den Schulbeginn festlegen. Während in einigen Bundesländern zeitliche Grenzen gesetzt werden, haben andere Schulen mehr Spielraum bei der Festlegung des Schulbeginns. Somit liegt es letztendlich in der Verantwortung der Schulgemeinschaft, ob sie die behördlichen Vorgaben eng oder flexibel auslegen und den Schulstart später als bisher festlegen.
Schlaf ist essentiell für unser Leben, und jeder Mensch hat einen ganz individuellen Schlaf-Wach-Rhythmus, der vom Biorhythmus und unseren Genen beeinflusst wird. Unsere innere Uhr (circadianer oder tageszeitlicher Rhythmus) regelt nicht nur den Schlaf-Wach-Rhythmus, sondern auch wichtige Körperfunktionen wie Stoffwechsel, Blutdruck und Herzfrequenz. Sie orientiert sich am 24-stündigen Tag-Nacht-Rhythmus und wird durch Licht und Dunkelheit beeinflusst. Hormone wie Melatonin und Cortisol spielen eine wichtige Rolle bei der Steuerung unseres Schlaf-Wach-Verhaltens.
Ein kleiner Exkurs über die drei Chronotypen: es gibt den Morgen- bzw. Frühtyp (Lerche), den Abend- bzw. Spättyp (Eule) und den Misch- bzw. Normaltyp (Taube). Der Chronotyp bestimmt, zu welcher Tageszeit wir am aktivsten oder am müdesten sind. Lerchen sind frühmorgens leistungsfähig und werden abends früh müde. Eulen hingegen erreichen ihr Leistungshoch erst am späten Abend und haben morgens Schwierigkeiten beim Aufwachen. Der Mischtyp zeigt ein durchschnittliches Schlafverhalten.
Es ist wichtig, die eigenen Schlaf-Wach-Zeiten an den individuellen Biorhythmus anzupassen, um Leistungsfähigkeit und Gesundheit positiv zu beeinflussen. Es gibt auch verschiedene Schlaftypen, wie Kurz- und Langschläfer. Kurzschläfer kommen mit weniger Schlaf aus, während Langschläfer mehr Stunden Schlaf benötigen. Das individuelle Schlafbedürfnis kann sich im Laufe des Lebens verändern.
Dann gibt es auch noch das Phänomen Social Jetlag. Der Begriff beschreibt die Diskrepanz zwischen den äußeren Zeitgebern, wie Arbeits- oder Schulzeiten und Freizeitaktivitäten, und der individuellen inneren Uhr. Viele verschieben ihre Schlaf- und Aktivitätszeiten zwischen Schulwoche und Wochenende, was zu einem ähnlichen Effekt wie bei einem Jetlag führt. Diese Verschiebung des Schlafverhaltens kann zu einem Schlafdefizit führen und sich negativ auf die Leistung von Schüler:innen auswirken. Eine mögliche Lösung besteht in Veränderungen der gesellschaftlichen Organisation, wie flexiblen Arbeitszeiten und angepassten Schulbeginnzeiten, um den sozialen Jetlag zu minimieren oder zu vermeiden.
Mehr zum Thema: Chronotypen, Interview mit Professor Kantermann und Professor Kramer bei Spektrum und Chronotype and Social Jetlag Studie 2019
Schlafexperten sind der Meinung, dass der Schulbeginn in Deutschland um 8:00 Uhr, besonders für Jugendliche, zu früh ist. Vor 8:00 Uhr sind die Sinnesleistungen, Sprachfähigkeit und Koordination noch im "Schlafmodus". Schlafmediziner Joachim Ficker, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums Nürnbergs, empfiehlt, dass Schüler später zur Schule gehen sollten, um fit, lernfähig und ausgeglichen zu sein. Das Aufstehen und das Tageslicht spielen dabei eine große Rolle, da es die innere Uhr synchronisiert. Wenn die Schule jedoch deutlich vor Sonnenaufgang beginnt, sind weder Schüler:innen noch Lehrkräfte richtig synchronisiert und daher weniger leistungsfähig.
Ein späterer Schulbeginn, beispielsweise um 9:00 Uhr, wird von Experten als vorteilhafter angesehen. In der Pubertät wird das Problem noch verschärft, da selbst genetische Frühaufsteher zu Morgenmuffeln werden. Biologisch gesehen durchlaufen Jugendliche während der Pubertät einen Prozess der Veränderung. Ihr biologischer Rhythmus verschiebt sich, was dazu führt, dass sie abends länger aktiv sind und morgens Schwierigkeiten haben, ausgeruht aufzuwachen. Dieser sogenannte "biologische Spätschicht" oder "Jugendliche Schlaf-Wach-Rhythmus" kollidiert oft mit dem frühen Schulbeginn vieler Bildungseinrichtungen.
Schlafmangel ist vorprogrammiert, da der Schlaf-Wach-Rhythmus der Jugendlichen über die 24 Stunden des Tages hinausgeht. Der Konflikt zwischen biologischer Uhr und gesellschaftlicher Zeit kann auf Dauer zu einem chronischen Jetlag führen. Studien wie das Präventionsradar der DAK zeigen, dass Deutschlands Schüler:innen unter Schlafstörungen leiden und im Durchschnitt zwei Stunden zu wenig pro Nacht schlafen. Dieses permanente Schlafdefizit beeinträchtigt das Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und letztlich auch die Gesundheit und Lebensdauer der Schüler:innen.
Trotz des Wissens über die negativen Auswirkungen des zu frühen Schulbeginns gibt es in vielen Schulsystemen noch keine breite Anerkennung dieser Problematik. Der frühe Schulstart wird oft als unveränderlicher Bestandteil des Schulalltags angesehen, ohne Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse und den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus der Jugendlichen.
In europäischen Ländern wie Finnland, Frankreich, Spanien, Italien und England beginnt der Unterricht erst um 9 Uhr morgens. Auch in einigen deutschen Schulen wurde der Versuch mit einem späteren Schulstart unternommen – und positive Erfahrungen gemacht. Schon eine halbe Stunde mehr Schlaf verbessert das Wohlbefinden der Schüler:innen: Sie beteiligen sich häufiger am Unterricht und kommen seltener zu spät.
Es ist an der Zeit, dass die Politik auf die wissenschaftlichen Belege reagiert und dem Thema endlich Priorität einräumt. Uneinheitliche Regelungen und Ausnahmen, wie in Brandenburg, sind Schuld an den gesundheitlichen Folgen des chronischen Schlafmangels. Es gibt zwar keine allumfassende Regel für den perfekten Schlaf im Kindes- und Jugendalter, da das Schlafverhalten individuell ist, aber die bisherige Studienlage zeigt eindeutig, dass ein planmäßiger Unterrichtsbeginn um 8:00 Uhr dem aktuellen Kenntnisstand widerspricht. Ein späterer Start ab 8:30 Uhr, idealerweise sogar erst um 9:00 oder sogar 10:00 Uhr, würde vielen Jugendlichen zugutekommen.
Ein Beispiel dafür, wie eine solche Veränderung positiv wirken kann, findet sich in Seattle, wo die High Schools seit 2016 knapp eine Stunde später, um 8:45 Uhr, beginnen. Eine Studie zeigt, dass Zehntklässler in Seattle dadurch im Durchschnitt 34 Minuten mehr schlafen. Dies führt dazu, dass die Schüler:innen unter der Woche durchschnittlich knapp 7,5 Stunden Schlaf pro Nacht bekommen. Obwohl dies immer noch weniger ist als empfohlen (8 bis 10 Stunden wären ideal), zeigt sich eine spürbare Verbesserung: Die Jugendlichen sind im Unterricht wacher und aufmerksamer.
Es ist nun an der Politik und den Schulen, die notwendigen Schritte einzuleiten, um positive Veränderungen zu bewirken. Es ist an der Zeit, dass Schulen einheitlich später beginnen, angepasst an den Schlafbedarf der Jugendlichen. Ein Unterrichtsbeginn um 8:30 Uhr, 9 Uhr oder sogar 10 Uhr würde den Schüler:innen ermöglichen, ausreichend Schlaf zu bekommen und so ihre Gesundheit, ihr Wohlbefinden und ihre Lernleistung zu verbessern.
Zusätzlich sollten Schulen Strategien entwickeln, um das Bewusstsein für gesunden Schlaf zu stärken und Schüler:innen dabei zu unterstützen, ihre Schlafhygiene zu verbessern. Dies könnte beispielsweise durch die Implementierung von Aufklärungsprogrammen und Maßnahmen zur Reduzierung der Bildschirmzeit geschehen.
Was haltet ihr von der Problematik? Bekommt ihr genug Schlaf? Wie sieht es bei euren Schüler:innen aus?