Zwischen Neutralität und Verantwortung: Wie politisch darf Unterricht sein?

Von
Helen Mattes
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4
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February 2025
|
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Frauen die Demonstrieren

Lehrkräfte sollen demokratische Werte vermitteln, ohne parteipolitisch zu beeinflussen. Doch wo endet Neutralität – und wo beginnt Verantwortung? (Quelle:Canva)

Wie politisch dürfen oder sollen Lehrkräfte sein? Der Mythos der Neutralität in der Schule und im Unterricht sorgt immer wieder für kontroverse Debatten. Gerade bei größeren politischen Ereignissen wie dem kürzlichen Amtsantritt von Donald Trump oder den bevorstehenden Bundestagswahlen stellt sich die Frage, wie Lehrkräfte solche Themen im Unterricht behandeln sollten – dürfen sie Position beziehen oder bleibt Neutralität oberstes Gebot?

Denn was passiert, wenn demokratische Werte selbst infrage gestellt oder angegriffen werden? Ist es dann noch vertretbar, sich auf Neutralität zu berufen, oder haben Lehrkräfte eine besondere Verantwortung, Haltung zu zeigen und ihre Schüler:innen für Demokratie und Grundrechte zu sensibilisieren?

Der rechtliche Rahmen und ein großes Fragezeichen

Das Neutralitätsgebot ist ein grundlegendes Prinzip der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und sichert die Chancengleichheit der Parteien gemäß Art. 3, 20 und 21 GG. Daher dürfen Staatsorgane keine Partei bevorzugen oder benachteiligen – eine Regel, die auch für Schulen, Lehrkräfte, Kultusministerien und Schulbehörden gilt. Unsachliche Äußerungen, Hetze oder parteifeindliche Aufrufe sind unzulässig. Verstöße werden von der Landesschulbehörde im Einzelfall geprüft. 

Lehrer:innen sind zudem durch das Beamten- und Schulrecht dazu verpflichtet, unparteiisch zu handeln und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen. Politisches Engagement ist grundsätzlich erlaubt, erfordert jedoch Zurückhaltung und Mäßigung. Parteipolitische Aktivitäten im Schulumfeld sind untersagt, und das Lehramt muss im Einklang mit der Verfassung ausgeübt werden. Dass diese Grenzen nicht immer eindeutig sind, zeigt der aktuelle Fall einer angehenden Lehrerin, die wegen ihres politischen Engagements vor dem Ausschluss aus dem Referendariat steht (Lehrer News berichtete).

Gleichzeitig soll die Schule Offenheit, Toleranz und demokratische Werte vermitteln, ohne Schüler:innen einseitig zu beeinflussen. Grundrechte wie die Meinungsfreiheit gelten auch im schulischen Kontext, unterliegen jedoch den Vorgaben des Beamten- und Schulrechts, sofern diese Einschränkungen verhältnismäßig sind. Ziel ist es, eine Bildung und Erziehung im Sinne der Verfassung zu gewährleisten.

Die Frage nach der Rolle der Lehrkräfte bleibt somit eine Gratwanderung zwischen dem Neutralitätsgebot einerseits und der Verantwortung für die Vermittlung demokratischer Werte andererseits. Lehrkräfte stehen vor der Herausforderung, politische Themen sachlich einzuordnen, ohne zu beeinflussen – gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung. Dabei ist jedoch stets zu bedenken, dass Neutralität nicht Gleichgültigkeit gegenüber demokratiefeindlichen Tendenzen bedeuten darf. 

Beutelsbacher Konsens: Leitlinien für politische Bildung in der Schule

Der Beutelsbacher Konsens legt drei Prinzipien fest, die eine politisch neutrale Bildung gewährleisten sollen: Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot und Lernendenorientierung. Lehrkräfte dürfen politische Positionen vertreten, solange sie eine offene Diskussion ermöglichen und Schüler:innen nicht einseitig beeinflussen. Politische Symbole sind kritisch zu betrachten, es sei denn, sie stehen für demokratische Werte wie Toleranz. Schulen sollen Räume der Meinungsbildung sein, in denen junge Menschen lernen, sich mit verschiedenen Perspektiven auseinanderzusetzen und demokratische Werte im Alltag zu leben – als Schutz gegen antidemokratische Strömungen.

Überwältigungsverbot

Lehrkräfte dürfen Schüler:innen keine Meinung aufzwingen. Ziel ist es, dass sie durch den Unterricht eine eigenständige Meinung und ein eigenes politisches Urteil entwickeln können. Dabei sollen verschiedene Perspektiven aufgezeigt und kontroverse Themen sachlich sowie ergebnisoffen diskutiert werden, sodass Schüler:innen lernen, reflektierte Entscheidungen zu treffen.

Kontroversitätsgebot 

Themen müssen im Unterricht kontrovers dargestellt werden, wenn sie in Politik, Wissenschaft oder Gesellschaft umstritten sind. Homogen ausgerichtete Gruppen sollen bewusst mit gegensätzlichen Positionen konfrontiert werden. Dies fördert das kritische Denken der Schüler:innen

Lernendenorientierung

Politische Bildung soll Schüler:innen befähigen, gesellschaftliche Situationen und ihre eigene Position kritisch zu analysieren, um daraus eigene Schlüsse zu ziehen. Dabei geht es nicht nur um Wissen, sondern auch um die Fähigkeit, verschiedene Perspektiven abwägen zu können.

Zurück(Haltung) ist gefragt: Wie politisch dürfen Lehrkräfte sein?

Was bedeutet das nun konkret für den Schulalltag? Laut Andreas Keller Vorsitzende der GEW müssen Lehrkräfte in Deutschland nicht politisch neutral sein. Im Gegenteil: “Es ist ihre durch das Grundgesetz und die Landesschulgesetze festgelegte Aufgabe, Schüler*innen demokratische Werte wie Menschenrechte und Toleranz zu vermitteln”, erklärt Keller. Eine strikte Neutralität könne wichtige Diskussionen erschweren und die Bildung der Schüler:innen beeinträchtigen, da politische Themen essenziell für ihre Entwicklung sind.

Lehrkräfte sind nicht zur völligen Neutralität verpflichtet, wenn es um politische Konflikte geht. Entscheidend ist, verschiedene Perspektiven aufzuzeigen und zugleich klar gegen Antisemitismus, Rassismus und menschenverachtende Äußerungen Position zu beziehen. Dabei können sie sich auf die gesetzlich verankerte Demokratieerziehung berufen, die Schulen in allen Bundesländern dazu verpflichtet, Werte wie Menschenrechte, Toleranz, Meinungsfreiheit und politische Partizipation zu vermitteln.

Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) sieht bei vielen Lehrkräften Hemmungen, im Unterricht politische Positionen einzubringen. Er führt dies auf die friedliche Revolution zurück, nach der viele Politik aus der Schule verbannen wollten, um Neutralität zu wahren. Er ermutigt Lehrkräfte jedoch, politische Diskussionen zuzulassen und aktiv zu führen. “Natürlich ist Schule in der Gänze zur Neutralität verpflichtet. Das heißt aber nicht, dass die einzelne Lehrkraft sich politischer Diskussionen zu enthalten hat, keine eigene Meinung haben darf oder diese nicht artikulieren darf. Es muss nur in Gänze deutlich werden, dass politische Meinungsvielfalt an Schule vermittelt wird und dass wir Schülern auch unterschiedliche Meinungen zugänglich machen müssen”, so Piwarz.

Piwarz erklärt außerdem, dass der Beutelsbacher Konsens die Grundlage für politische Bildung im Unterricht bildet. Dieser fordert, dass Schüler:innen nicht mit Meinungen überwältigt, sondern befähigt werden sollen, politische Situationen und ihre eigenen Interessen zu analysieren. Gleichzeitig betont Piwarz, dass der Konsens auch wertegebunden ist und demokratische Werte wie Pluralismus und Menschenrechte im Bildungsprozess im Vordergrund stehen müssen.

Dennoch stehen viele Lehrkräfte vor Herausforderungen, wenn sie politische Themen im Unterricht aufgreifen. Besonders bei der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus oder der AfD stoßen sie teils auf Kritik von AfD-sympathisierenden Eltern. Demokratie-Berater Benjamin Winkler stellt klar, dass Lehrer:innen parteipolitisch neutral bleiben müssen, Themen wie die Einstufung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz jedoch im Unterricht behandelt werden dürfen. Um Lehrkräften in solchen Situationen Sicherheit zu geben, arbeitet das sächsische Kultusministerium derzeit an einem Leitfaden mit Argumentationshilfen.

Die Debatte um politische Neutralität in der Schule zeigt, dass Lehrkräfte sich in einem Spannungsfeld zwischen gesetzlichen Vorgaben und pädagogischer Verantwortung bewegen. Dabei gilt es, politische Bildung ausgewogen zu gestalten und gleichzeitig demokratische Werte zu vermitteln – damit junge Menschen lernen, kritisch zu denken und die Demokratie aktiv mitzugestalten.

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