Einblicke in den privaten Familienalltag bringen viele Klicks auf Instagram, TikTok und YouTube. (Quelle: Canva)
Familienblogger wie Team Harrison, Die Wolfs und Mamiseelen oder die Familie Jindaoui zeigen ihre Kinder im Internet, auch in sehr privaten Situationen. Dabei verschwimmen Grenzen, und die Persönlichkeitsrechte der Kinder sowie deren Privatsphäre werden nachhaltig beeinträchtigt. Doch nicht nur das: Die Veröffentlichung dieser privaten Aufnahmen ist nicht nur ein Hobby für die Eltern, sondern auch eine profitable Einnahmequelle. Die Einblicke in den privaten Familienalltag bringen viele Klicks auf Instagram, TikTok und YouTube und locken damit auch zahlungskräftige Werbekunden an.
Vorgeschaltete Werbeeinblendung in Videos, Kooperationen oder Produktplatzierungen in den Beiträgen selbst, die Verdienstmöglichkeiten sind vielfältig. Dabei schrecken die Eltern nicht davor zurück, ihre Kinder in Badehose zu zeigen oder private Details über den Gesundheitszustand ihres Kindes mit der Öffentlichkeit zu teilen. Im Beitrag “Wie Influencer ihre Kinder bloßstellen” zeigen die YouTuber:innen Mr. Wissen2go und Alicia Joe eindringlich, wie verstörend das eigentlich ist. Kinderinfluencer, gefährliche Gender Reveals, Babys als Schutzschild – Joe beschäftigt sich schon seit Jahren auf ihrem YouTube-Kanal mit Familienbloggern und der Gefahr, die besteht, wenn man “Kinder im Netz” zeigt.
Ob vermeintlich niedliches Schlafen, beim Essen, mitfühlendes Leiden bei Fieber oder die neue coole Hose: das Posten von Kinderfotos auf kommerziellen Social-Media-Kanälen kann die abgebildeten Kinder ernsthaft gefährden. Das erste Mal sprechen Jurist:innen in diesem Zusammenhang jetzt vom Tatbestand der Kindeswohlgefährdung. Die Kampagnen-Organisation Campact und das Deutsche Kinderhilfswerk haben gemeinsam ein Rechtsgutachten mit dem Titel “Kindeswohlgefährdung durch kommerzielle Veröffentlichung von Kinderfotos und -videos im Internet” (PDF) veröffentlicht. Das Rechtsgutachten belegt: Influencer:innen, die Bilder oder Videos ihrer Kinder auf Social-Media-Plattformen veröffentlichen, bewegen sich häufig im Bereich der Kindeswohlgefährdung.
Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes, betont: “Bei zahlreichen Social-Media-Accounts verschwimmen die Grenzen zwischen kreativer Freizeitbeschäftigung und Arbeit von Minderjährigen einerseits, zwischen Werbung und nicht-kommerziellen Inhalten andererseits. Dabei entsteht an vielen Stellen ein erheblicher Interessenkonflikt: Das wirtschaftliche Interesse der Eltern steht oft im Widerspruch zu den Rechten der Kinder – dem Recht auf Schutz der Privatsphäre und auf freie Persönlichkeitsentfaltung. Wenn Kinder im Wettlauf um Reichweiten monetarisiert und instrumentalisiert werden, dann ist das Kindeswohl in Gefahr.”
Der Gesetzgeber hat diese Gefahr in der Kinderschutzgesetzgebung bisher nur ungenügend abgebildet. Die Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes erklärt: “Das vorliegende Rechtsgutachten leistet hier einen wichtigen Beitrag, Schutzlücken im Kontext von Kindeswohlgefährdungen aufzudecken und eben diese Lücken mit einem konkreten Praxiskonzept zu schließen.”
Sara Flieder ist Kinderrechtsexpertin und Initiatorin der WeAct-Petition “Kinderrechte auf Instagram wahren”. Die Petition machte darauf aufmerksam, dass viele Influencer:innen ihr Geld damit verdienen, ihre Kinder im Internet zu zeigen und mit ihnen für Produkte zu werben. Auf der Kampagnenseite heißt es: “Bei vielen Elternblogger:innen werden die Kinder halbnackt oder schlafend gefilmt. Das gesamte Leben ist online. Live kann man verfolgen, wie die Kinder schlafen, wann sie gestillt werden, wie ihre Kinderzimmer und Kleiderschränke aussehen, welche Krankheiten sie haben, wann sie wo im Urlaub sind, wie ihr Charakter ist. Nachzulesen für alle, für immer. Zudem werden viele der Kinder für Werbungen vor die Kamera gezerrt und niemand kontrolliert deren Arbeitszeiten. Das muss sich ändern!”
Flieder stellt inzwischen fest: “Vor zwei Jahren habe ich per WeAct-Petition gefordert, die kindliche Privatsphäre auf kommerziellen Social-Media-Accounts zu schützen. Ich konnte über 55.000 Unterschriften sammeln, aber politisch veränderte sich nichts. Heute sehe ich mich mit dem Rechtsgutachten bestätigt: Kinder haben Rechte und die werden durch Family-Influencing auf vielfache Weise verletzt.” Dabei geht es laut Flieder meist nicht mal um die schlimmen Fälle, in denen Kinder vor laufender Kamera gedemütigt werden. “Schlafen, das Kranksein, die intimen Momente beim Kuscheln - das reicht aus, um die Privatsphäre der Kinder irreparabel zu schädigen. Das Internet vergisst nichts und die Influencer*innen haben keine Kontrolle über diese Bilder. Wir brauchen eine Verschärfung der Gesetze, um unsere Kinder zu schützen”, so die Kinderrechtsexpertin.
Das Rechtsgutachten belegt: Influencer:innen, die Bilder oder Videos ihrer Kinder auf Social-Media-Plattformen veröffentlichen, bewegen sich häufig im Bereich der Kindeswohlgefährdung. Campact und das Deutsche Kinderhilfswerk fordern deshalb: Der Gesetzgeber muss die kommerzielle Veröffentlichung von Kinderfotos und Kindervideos im Internet bis zum vollendeten siebten Lebensjahr eines Kindes uneingeschränkt verbieten. Erst danach sollte die Veröffentlichung überhaupt möglich sein – mit der Einwilligung der abgebildeten Kinder. Angesichts der wirtschaftlichen Eigeninteressen der Eltern können Gerichte in Einzelfällen Ergänzungspfleger zur Vertretung der Kinder bestimmen.
Dr. Astrid Deilmann, geschäftsführende Vorständin bei Campact e.V., sagt: “Die schamlose Zurschaustellung der eigenen Kinder, um Reichweite und letztendlich Werbedeals zu sichern, kann kindeswohlgefährdend sein. Das Rechtsgutachten belegt dies klar und sollte die künftige Bundesregierung zum Handeln aufrufen: Wir brauchen Gesetze, um die Privatsphäre der Kinder zu schützen. Besonders wenn Kinder zu Werbefiguren stilisiert und in den sozialen Medien in allen Lebenslagen inszeniert und instrumentalisiert werden, verletzt das ihr Recht auf informelle Selbstdarstellung und greift massiv in ihr Persönlichkeitsrecht ein. Gemeinsam mit unserer WeAct-Petentin Sara Flieder und dem Deutschen Kinderhilfswerk werden wir das Gutachten nutzen, um diese klaffende Lücke im Kinderschutz durch den Gesetzgeber zu schließen.”
In dem Gutachten wird deshalb als konkrete Maßnahme ein Einwilligungskonzept für die kommerzielle Veröffentlichung von Kinderfotos im Netz vorgeschlagen. Fotos von Kindern unter sieben Jahren sollen laut des Einwilligungskonzepts gar nicht für kommerzielle Zwecke auf Social Media veröffentlicht werden. Für ältere Kinder soll es einen Ergänzungspfleger geben, der die Interessen des Kindes, auch gegenüber den Eltern, vertritt und ab dem 16. Lebensjahr sollen Kinder allein darüber entscheiden, ob Fotos von ihnen kommerziell genutzt werden dürfen. In Anlehnung an eine entsprechende Regelung im französischen Recht soll außerdem ein Treuhandkonto zugunsten des minderjährigen Kindes angelegt werden, um generierte Einkünfte, an denen das Kind maßgeblich beteiligt war, dort einzuzahlen und dem Kind nach Erreichen der Volljährigkeit zur Verfügung zu stellen.
Die Herausgeber des Rechtsgutachtens schlagen vor, dass das Einwilligungskonzept zunächst durch gerichtliche Entscheidungen oder alternativ durch eine gesetzliche Normierung umgesetzt werden kann. Zudem sollten die Jugendämter sowie die Landesmedienanstalten in die Überwachung der Vorgaben eingebunden werden. Die Jugendämter sollten zunächst entsprechend ihrer Befugnisse konkret in die Pflicht genommen werden, eine verstärkte Prüfung bzw. Kontrolle vorzunehmen und Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung an das Familiengericht zu tragen.