GEW-Vorsitzende Finnern spricht im Interview mit der Stuttgarter Zeitung über den Umgang mit der AfD in der Schule. (Quelle: GEW)
29.03.2024. Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung forderte die Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Maike Finnern Lehrkräfte dazu auf, sich kritisch mit der Alternative für Deutschland (AfD) im Unterricht auseinanderzusetzen. Sie betonte weiterhin das Recht von Lehrkräften, gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren.
Aus Sicht der Gewerkschaft haben Lehrkräfte eine besondere Pflicht, “sich für Demokratie und Vielfalt stark zu machen sowie ihre Stimme gegen Rechtsextremismus und verfassungsfeindliche Umtriebe zu erheben”. Dazu gehöre auch, für Demokratie auf die Straße gehen zu können. Deshalb sagte Finnern weiter: “Viele Lehrkräfte haben Angst, sie könnten Ärger mit ihrem Dienstherrn bekommen, wenn sie auf Demos gegen rechts gehen. Das stimmt aber nicht. Lehrerinnen und Lehrer haben, wie andere Staatsbürger auch, das Recht gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren.”
Im Interview äußerte sich Finnern deutlich zur Rolle der Lehrkräfte im Umgang mit der AfD. Sie betonte, dass Lehrkräfte auf die Verfassung schwören und diese verteidigen müssten, denn “[d]ie AfD ist eine mindestens in Teilen verfassungsfeindliche Partei.” Weiter ermutigt sie Lehrkräfte dazu, konkrete Aussagen von und Vorgänge in der AfD im Unterricht zu analysieren und mit den Schüler:innen zu besprechen: “Ich ermuntere Lehrkräfte nicht nur dazu, die Auseinandersetzung mit der AfD auch im Klassenraum zu suchen. Ich rufe sie auch ausdrücklich dazu auf.” Grundlage dafür bilden Landesschulgesetze und der Beutelsbacher Konsens.
Der Beutelsbacher Konsens ist ein in den 1970er Jahren formulierter Minimalkonsens für den Politikunterricht in Deutschland, der folgende drei Prinzipien festlegt: das Überwältigungsverbot (keine Indoktrination), das Gebot der Kontroversität (Beachtung kontroverser Positionen in Wissenschaft und Politik im Unterricht) und die Schülerorientierung (Befähigung der Schüler:innen, in politischen Situationen ihre eigenen Interessen zu analysieren).
In Deutschland gibt es kein Gebot vollständiger politischer Neutralität für Lehrkräfte. Stattdessen gilt das Prinzip der Mäßigung und Zurückhaltung, das im Beamtenrecht verankert ist und auch für angestellte Lehrpersonen gilt. Dieses Prinzip ergibt sich aus dem Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates und verpflichtet Lehrkräfte dazu, unterschiedliche gesellschaftliche, religiöse, ethische und politische Anschauungen in der Schule gleichermaßen zu respektieren und keine einseitige Beeinflussung der Schüler:innen zuzulassen. Lehrkräfte dürfen eigene politische Überzeugungen im Unterricht äußern und können sich dabei auf ihr Recht der Meinungsfreiheit berufen. Sie dürfen jedoch nicht einseitig oder provokativ für eine bestimmte politische Auffassung oder eine Partei werben.
Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, der in den Landesschulgesetzen festgelegt ist, fordert eine kritische Auseinandersetzung mit politischen Positionen, einschließlich rechtspopulistischer, diskriminierender und rassistischer Positionen. Dieser Auftrag betont die Erziehung im Sinne demokratischer Grundsätze und der Werte des Grundgesetzes. Lehrkräfte sind daher aufgefordert, sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu positionieren und diese Themen im Unterricht zu thematisieren. Ein indifferentes Verhalten gegenüber Hass, Ausgrenzung, Diskriminierung und Hetze wäre nicht mit diesem Auftrag vereinbar.
Einige Stimmen, darunter der Deutsche Lehrerverband, äußerten Zustimmung zu den Aussagen von Finnern. Stefan Düll, Präsident des Verbands, betonte die Notwendigkeit eines “breiten Blicks” und sagte: “Wir haben Verfassungsfeinde links, wir haben sie rechts, wir haben sie im religiösen Bereich. Das muss man auch ganz offen mit den Schülern besprechen.” Er nannte es normal, dass bestimmte Gruppierungen im Unterricht genannt werden, wenn diese vom Verfassungsschutz als gesichert extremistisch eingestuft werden.
Es gab jedoch auch Kritik an Finnerns Position. Der AfD-Politiker Götz Frömming warnte davor, Lehrkräfte für eine politische Auseinandersetzung zu instrumentalisieren: “Gegen eine kritische Auseinandersetzung mit der AfD im Rahmen des Politikunterrichts ist nichts einzuwenden. Problematisch ist allerdings, dass die GEW-Chefin eine kritische Auseinandersetzung mit anderen Parteien wie den Grünen oder der SPD nicht für notwendig erachtet.” Florian Bublys, Fachbereichsleiter für Politik und Geschichte an einer Berliner Schule, äußerte ebenfalls Bedenken und sagte: “Die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei festzustellen ist nicht Aufgabe der Lehrkräfte, sondern des Bundesverfassungsgerichts.“ Er möchte vermeiden, dass einer rechtspopulistischen Partei wie der AfD eine weitere Gelegenheit geboten werde, sich in der Opferrolle zu inszenieren.